Pern 08 - Nerilkas Abenteuer
die Feuerstellen. Obwohl sie in Decken oder Felle gehüllt waren, schienen sie zu frieren.
Etwas abseits am Waldrand stand eine große, aus allerlei Resten zusammengeflickte Hütte. Lautes Stöhnen und heftige Hustenanfälle verrieten mir, daß sich dort das eigentliche Lazarett befand. Der Glasballon mit dem Fellissaft wurde dorthin geschleppt, während die Leute mit den Essenskörben Brot an die Menschen verteilten, die um die Feuer saßen. Drei Frauen füllten das Gemüse und die Fleischreste in die Kessel.
Das Schweigen, das über der Szene lastete, war für mich das allerschlimmste.
Ich hastete zum Lazarett und wurde am Eingang von einem hochgewachsenen unrasierten Heiler empfangen. »Fellis, Kräuter - und was haben Sie mitgebracht?« fragte er eifrig.
»Tussilago. Lady Nerilka hat ihn letzte Nacht frisch hergestellt.«
Er schnitt eine Grimasse, als er mir den Glasbehälter abnahm.
»Erfreulich zu wissen, daß nicht alle in der Burg die Anordnungen des Barons gutheißen.«
»Dieser feige Heuchler!« stieß ich hervor.
Der Heiler zog strafend die Augenbrauen hoch. »Junge Frau, es ziemt sich nicht, so von Ihrem Burgherrn zu sprechen, selbst wenn er Ihren Unwillen herausgefordert hat.«
»Er ist nicht mein Burgherr«, erklärte ich und begegnete gelassen seinem strafenden Blick. »Ich bin hergekommen, um Ihnen meine Hilfe anzubieten. Ich kenne die meisten Heilpflanzen und verstehe mich darauf, Arzneien herzustellen.
Ich ... habe Lady Nerilka in der Kräuterküche geholfen. Sie und ihre verstorbene Mutter, Lady Pendra, brachten mir alles Notwendige bei. Ich bin auch in Krankenpflege ausgebildet, und ich habe keine Angst mehr vor dieser Seuche. Alle, die mir nahestanden, sind tot.«
Er legte mir tröstend die Hand auf die Schulter. Niemand hätte sich eine solche Geste gegenüber Lady Nerilka erlaubt, aber ich empfand sie nicht als störend. Im Gegenteil, sie vermittelte mir menschliche Wärme.
»Dieses Schicksal teilen Sie mit vielen.« Er schaute mich fragend an, und ich nannte meinen Namen. »Also gut, Rill, ich bin froh um Freiwillige. Meine beste Pflegerin hat sich nun ebenfalls angesteckt ...«
Er deutete auf eine Gestalt, die weiß und reglos auf einer Matte aus geflochtenen Zweigen lag. »Wir können im Grunde nicht viel tun. Nur die Symptome lindern«, - er strich mit einer Geste der Erleichterung über den Glasbehälter mit dem Tussilago -, »und hoffen, daß es nicht zu Sekundärinfektionen kommt. Sie führen zum Tod, nicht die Seuche selbst.«
»Es wird bald genug Impfstoff für alle geben«, sagte ich, um ihn aufzumuntern, denn ich spürte, wie sehr ihn seine Hilflosigkeit angesichts der Krankheit verbitterte.
»Wo haben Sie das gehört, Rill?« Er senkte die Stimme und umklammerte hart meinen Arm.
»Das ist allgemein bekannt. Gestern wurde die Familie des Burgherrn geimpft. In der Heiler-Halle stellen sie bereits neues Serum her. Das Lager liegt nicht weit entfernt ...«
Der Mann zuckte nur verbittert mit den Schultern. »Es liegt nicht weit entfernt, aber es steht sicher nicht an der Spitze der Dringlichkeitsliste.«
Die Frau auf der Matte begann sich im Fieber hin und her zu werfen, und ihre Decke glitt zu Boden. Ich trat rasch an ihr Lager. Und so begann mein erster Zwanzigstundentag als Pflegerin. Wir waren zu dritt - neben dem Heilergesellen Macabir -, um die insgesamt sechzig Schwerkranken des primitiven Lazaretts zu versorgen. Ich erfuhr nie, wie viele Menschen sich insgesamt im Lager befanden, denn die Bewohner wechselten ständig. Manche waren zu Fuß oder auf Rennern hierhergekommen, in der Hoffnung, von Burg Fort oder der Heiler-Halle Hilfe zu erhalten, und sie zogen wieder davon, als sie merkten, daß man ihnen keinen Beistand geben wollte oder konnte. Ich fragte mich oft, wie viele Menschen die Quarantänevorschriften tatsächlich befolgt hatten. Aber hier im Westen blieben mehr Menschen am Leben als im Ostteil des Kontinents. Und im Herrschaftsbereich von Fort gab es längst nicht so hohe Verluste wie auf Ruatha. Wir erfuhren, daß Meister Capiams energisches und frühes Eingreifen in Süd-Boll eine Katastrophe verhindert hatte. Und es gab nicht wenige, die sich zuraunten, im Grunde habe Ratoshigan das Schicksal verdient, das Ruatha und den jungen Baron Alessan getroffen hatte.
Alessan war durchgekommen, wie ich hörte. Aber er und seine jüngste Schwester waren die einzigen Überlebenden des Ruatha-Geschlechts. Seine Verluste mußten also weit mehr schmerzen als
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