Pern 10 - Die Renegaten von Pern
war er munterer geworden und starrte nicht mehr so erschreckend ins Leere. Readis hatte ihn in den Höhlen von Igen entdeckt, wo so viele Heimatlose Zuflucht suchten, und er hatte angenommen, Thella könne einen ehemaligen Weyrbewohner gut gebrauchen. Perschar, der sich auf Wundversorgung und das Einrichten von Knochenbrüchen verstand, führte Girons Verwirrt-heit auf seine tiefe Kopfwunde zurück. Und natürlich wäre Thella niemals so grausam oder so dumm gewesen, ihn wieder wegzuschi-cken, nachdem er ihre Festung einmal betreten hatte. Seither hatte sich sein Zustand langsam aber stetig gebessert. Nun, da sein Mienenspiel lebhafter wurde, wirkte er sogar recht anziehend und intelligent, auch wenn er nur selten von sich aus den Mund auf tat.
Als ehemaliger Drachenreiter genoß er bei den anderen einen gewissen Respekt. Das hatte Thella anfangs gestört, aber inzwischen hielt sie es eher für einen Vorteil.
Der klare Himmel verdüsterte sich, das erste Anzeichen für das Herannahen der Fädenfront. Alles drängte in den hinteren Teil der 122
engen Höhle. Readis machte seinen Flammenwerfer bereit und stellte sich vor den Eingang. Gleichmütig und unerschrocken kauerte sich der ehemalige Drachenreiter hinter ihm auf den Boden.
Obwohl jeder sehen konnte, daß die letzten Sporen weit jenseits des Tales herabschwebten, mußte Thella Felleck und drei andere mit der Peitsche aus der Höhle treiben. Readis hatte signalisiert, daß sie beim Abstieg keine Fäden zu befürchten hatten, und war mit Giron bereits unterwegs. Thella war wütend, weil die anderen nicht aufs Wort gehorcht hatten. Es hing so viel davon ab, daß sie an Ort und Stelle waren, ehe die Bodentrupps Kadross verließen.
Zu guter Letzt hatte jeder seinen Posten hinter dem Felsgrat eingenommen. Sie selbst suchte sich eine Stelle, wo sie das Gebäude, die Stallungen und den Pfad ins Tal hinab, auf dem die Pächter bald abziehen würden, gut überblicken konnte.
Was trödelten diese elenden Bauern nur so lange herum? Die Fädenfront war längst vorübergezogen.
Am Himmel war kein Drachenfeuer mehr zu sehen.
Endlich hörte sie ein metallisches Knirschen, sah die Tür aufschwingen und keuchte unwillkürlich auf. Die Erregung raste wie ein heißer Strom durch ihre Adern und schärfte ihre Sinne, in ihren Ohren dröhnte es, ihre Hände umklammerten den Dolch und den Peitschengriff. Sie hielt die angestaute Energie zurück, während sie die Männer und Frauen zählte, die nun ihre sichere Unterkunft verließen. Gut, sie stapften ahnungslos hinaus, um ihre Pflicht zu tun, und ließen nur einen alten Onkel und zwei Tanten zurück, um die kleinsten Kinder zu hüten.
Der Bodentrupp marschierte den Bergpfad hinab, und als er außer Sicht war, gab Thella das Zeichen, zum Stall vorzurücken.
Aus den Berichten ihrer Spitzel wußte sie, daß die Bauern ihre Tiere vor dem Fädeneinfall zu füttern und zu tränken pflegten. Hier würde erst am späten Abend, wenn die Bodenmannschaft zurückkehrte, wieder jemand nachsehen. Sie beobachtete ihre Banditen, alle liefen 123
in gebückter Haltung und nahmen vorsichtshalber immer wieder Deckung, falls sich doch einer der Fensterläden öffnen sollte.
Dushik und Felleck erreichten die dicke, metallbeschlagene Tür als erste und zogen sie behutsam nur so weit auf, daß sie hinein-schlüpfen konnten. Sofort huschte die nächste Gruppe, fünf Mann unter Girons Führung, über das freie Gelände und durch den Spalt.
Thella schloß sich der dritten Gruppe an, und auch die vierte erreichte ohne Zwischenfälle ihr Ziel.
»Seht euch das an«, sagte Felleck und wühlte mit beiden Händen in dem goldenen Korn, das der Grund für ihr Kommen war. Gute Qualität, dachte Thella, denn sie hatte bemerkt, daß kein Staub aufwirbelte. Giron versetzte Felleck wegen seiner Schwatzhaftigkeit einen Rippenstoß. Felleck verzog das Gesicht, aber er nahm den Eimer, den Giron ihm reichte, und schöpfte damit Getreide in den Sack, den der ehemalige Drachenreiter für ihn offenhielt. Die anderen folgten schweigend dem Beispiel der beiden.
Dank des Getreides, das in diesen Säcken aus dem Stall von Kadross verschwand, würde sie in der Lage sein, ihren Rennern genügend Futter aufzupacken, um die nächsten Überfälle in sicherer Entfernung von ihren Hauptstützpunkten durchführen zu können.
Schon jetzt mußte sie eine große Schar von Heimatlosen mit Nahrung und Unterkunft für den Winter versorgen, aber sie brauchte noch mehr zuverlässige
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