Perry Clifton und die Insel der blauen Kapuzen
Professor, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir ein wenig von Ihrer Steinsammlung berichten würden. Sie müssen wissen, daß ich von Steinen ebensoviel verstehe wie von den Charaktereigenschaften der Tintenfische.“
Mallory hat seine Verwirrung überwunden.
„Ich bitte um Entschuldigung, Mister Clifton. Ich glaube, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Zunächst einmal: Dieses Haus habe ich nur gemietet. Der Erbauer und erste Eigentümer war ein Kunstmaler...“ Mallory schluckt schwer. „Er stürzte sich in einem Anfall von geistiger Umnachtung aus diesem Fenster. Außer einem Schuh fand man bis zum heutigen Tag nichts von ihm. Er soll übrigens noch ein größerer Eigenbrötler als ich gewesen sein. Die Erbin des Hauses ist eine gewisse Clarissa Woodly in Dorchester. Sie gab sich viel Mühe, das Haus zu veräußern; als das jedoch nicht klappte, übergab sie es dem Maklerbüro Clifford Wright in Essex. Von diesen Leuten habe ich es dann vor zwei Jahren gemietet. Allerdings nur unter der Bedingung, daß ein anderes Fenster eingebaut wird. Ich bin nämlich eine Art tiefenfreudiger Mensch, Mister Clifton.“
„Diesen Ausdruck habe ich noch nie gehört. Sie meinen damit, daß Sie von der Tiefe angezogen werden?“
„Ja, leider. Dagegen gibt es keine Medizin. Mein Arzt behauptet es jedenfalls.“
„Es wundert mich, daß Sie sich dann diesen kleinen Privathafen zugelegt haben. Stellt der Weg nicht ebenfalls gewisse Anforderungen an Sie, Professor?“
Mallory schüttelt lebhaft den Kopf. „Nein, so schlimm ist es gar nicht. Gefährlich wird es bei mir erst in etwa fünfzig Meter Höhe.“
„Okay, Professor. Nach diesen unerfreulichen Dingen wäre ich doch ganz froh, wenn Sie mir etwas über Ihre Sammlung erzählen würden. Zum Beispiel über diesen Stein hier. Ein wunderschönes Exemplar.“
Perry zeigt auf einen Gesteinsbrocken, der auf einer Seite angeschliffen ist. In Farbe und Form gleicht er den dunklen Miesmuscheln.
„Das ist Kugelgranit.“
„Granit?“ Perry ist ehrlich erstaunt. Der Professor lächelt ein wenig mitleidig.
„Ja, Granit. Ich weiß, Mister Clifton, das überrascht Sie. Der Laie denkt, wenn er den Namen Granit hört, an Pflastersteine oder auch an Denkmalsockel. Er kann sich einfach nicht vorstellen, daß so etwas geschliffen auch ganz schön aussehen kann. Wissen Sie, daß es einige Dutzend verschiedener Granitsorten gibt?“
„Das hätte ich nie für möglich gehalten. — Und was ist das für ein Stein?“
„Blasenlava. Hieran können Sie sehen, wie sie mitten im Fließen erstarrt ist.“
„Und warum ist sie außen rot und innen grau?“
Professor Mallory hebt den Zeigefinger und droht Perry:
„Ich glaube, Sie haben in der Schule öfter gefehlt.“
„Sie meinen also, ich sollte das wissen?“
„Ja, das sollten Sie wissen. Die Lava ist an der Oberfläche durch oxydiertes Eisen rot geworden.“
Perry Clifton runzelt die Stirn und tut, als denke er angestrengt nach. Dann erwidert er: „Ehrlich, Professor, ich habe in mir geforscht. Ist es schlimm, wenn ich mich an nichts erinnere?“
„Es ist entschuldbar, wenn Sie mir sagen, worum es sich bei diesem schönen Stück hier handelt.“
Mallory reicht Perry einen an zwei Seiten angeschliffenen Stein hin. Lange betrachtet der Detektiv den grünen Stein mit der wurzelähnlichen Maserung.
„Ich bin nicht sicher, Professor, ob Sie mich aufs Glatteis führen wollen, aber ich würde auf Malachit tippen.“
„Ausgezeichnet, aber noch nicht ganz zensurenreif. Ich gebe Ihnen eine Eins, wenn Sie mir sagen, wie Malachit entsteht.“
Perry Clifton grinst: „Eins zu null für mich, lieber Professor. Ich weiß es nämlich: Malachit entsteht durch Verwitterung.“ Erwartungsvoll blickt Perry den Mineralogen an. Und tiefe Enttäuschung malt sich auf sein Gesicht, als dieser jetzt mit leiser Ungeduld antwortet: „Das ist ja klar. Die meisten Steine entstehen durch Verwitterung. Nur, was muß vorher verwittern?“
Perry schluckt und fühlt sich wie ein Schuljunge. „Ich passe, Professor. Ich bin wohl doch kein Gesprächspartner für Sie.“
Mallory lacht. „Nun werden Sie nur nicht gleich melancholisch, lieber Mister Clifton. Man kann schließlich nicht alles wissen. Malachite entstehen durch verwitterte Kupfererze.“
„Danke, Professor!“
„Bitte, bitte, aber vielleicht können Sie mir auch einmal von Ihrem Beruf etwas verraten.“
Perry Clifton zuckt mit den Schultern. „Kaum. Ich bin in einem Kaufhaus
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