Perry Rhodan Neo 022 – Zisternen der Zeit
den Stoff, der ihre Erinnerungen trübt, da eine Prise von Botenstoffen, die angriffslustig machen und alle Skrupel verblassen lassen, und was die Schmerzen angeht – die Nerven sind ein leicht zu übertölpelndes Geflecht.«
»Ich verstehe«, sagte Rhodan.
»Wohl kaum«, sagte Eneida. »Oder haben Sie erlebt, wie rapide das Leben in jenen Tagen an Wert verloren hat? Wie billig es zu haben war? Wie aus Ferronen biogener Ramsch wurde? Wissen Sie, warum ich hier lebe und nicht auf Ferrol oder einer anderen friedsamen Welt?«
»Sagen Sie es mir.«
»Weil ich ein zu gutes Gedächtnis habe. Weil ich auf den gereinigten, polierten Straßen von Thorta immer noch die Schatten der entsorgten Leichen sehen würde. Weil ...«
Sie schwieg, und Rhodan ließ sie schweigen.
»Ich nehme keine Befehle mehr an.«
»Und der Omenvater?«
»Der Omenvater? Ich werde Ihnen jetzt keine Lektion in Soziologie des Gemeinwesens von Ganashar geben«, sagte sie. »Sie würden sie eh nicht verstehen.« Sie holte tief Luft. »Sie sind keine Ferronen.«
»Ich dachte immer, Verstehen hätte mit Verstand zu tun, nicht mit der Farbe von Haut und Haar. Oder mit der Struktur der Erbsubstanz.«
»Wie man sich täuschen kann«, sagte Eneida.
»Sie nehmen also keine Befehle an, die ich Ihnen sowieso nicht erteilen könnte«, sagte Rhodan. »Sie wollen niemanden mehr sterben sehen. Sie hüten und beschützen die Schläfer. Und am liebsten wäre es Ihnen, wenn man nach und nach sämtliche Einwohner von Ganashar – ach was: von ganz Ambur, aus dem gesamten Wega-System ins Heilhaus liefern könnte. Dann könnten Sie sie alle in einen Heilschlaf versetzen, und sie könnten schlafen, ihr Leben verschlafen, wohl behütet und beschützt von Omenmutter Eneida, Herrin über Leben und Tod.«
»Das ist nicht fair«, sagte sie bitter.
»Das war nicht fair«, gab er zu. »Aber die Tatenlosigkeit, die Sie mir zumuten, ist auch nicht fair.«
Er hörte, wie ihre Zähne mahlten. »Sie haben einen Grund, warum ich das Mädchen wecken soll, nicht den Mann?«
»Ja«, sagte Rhodan und fügte nach kurzem Zögern hinzu: »Sue ist eine parapsychisch begabte junge Frau. Wenn überhaupt jemandem, dann traue ich ihr zu, sich gegen das zu wehren, was sie quält. Wenn sie denn eine Vorstellung davon entwickelt, was es ist.«
»Diese Vorstellung wollen Sie ihr geben?«
»Ich versuche es.«
»Gut«, lenkte Eneida ein. »Dann hat sie eine Chance.«
»Ja«, sagte Rhodan und legte so viel Überzeugung in seine Worte, wie er aufbringen konnte.
»Ich verabreiche ihr einen Cocktail aus Ephedrinderivaten und anderen Sympathomimetika«, erläuterte die Medikerin keine Viertelstunde später im Zimmer von Sue Mirafiore. »Die Mittel imitieren Adrenalin und Noradrenalin. Dazu einige Morphine gegen den Schmerz und einige – besondere Zusatzstoffe.« Sie lächelte abwesend. »Es ist kein reguläres Medikament. Eher eine Eigenkomposition. Von der ich gehofft hatte, sie nie mehr anwenden zu müssen.«
»Sue wird wach und ist dann bei klarem Bewusstsein?«, wollte sich Rhodan versichern.
Eneida antwortete nicht. Sie setzte die Injektionspistole an Sues Oberarm an und drückte ab. Ein kaum hörbares Zischen erklang.
Eneida trat einen Schritt von Sues Bett zurück und stieß beinahe mit Tschubai zusammen. Tschubai murmelte eine Entschuldigung.
Zunächst tat sich nichts. Das Mädchen lag reglos. Dann schlug Sue die Augen auf, langsam und ohne dabei den Kopf zu bewegen.
»Hallo, Sue«, sagte Rhodan freundlich. »Kannst du mich hören?«
»Sicher«, sagte sie.
»Wie geht es dir?«
»Nicht gut. Ich mag nicht denken. Es kratzt. Wenn ich denke, denke ich mich wund. Es reibt wie Sand in meinem Denken. Ich muss fort. Zurück. Ganz schnell zurück. In Sicherheit.«
»Hör mir zu«, sagte Rhodan. »Die Fantan haben eine Sicherung in dich und Reginald eingesetzt, die verhindern soll, dass ihr flieht. Das ist der Grund, warum du zurück willst. Verstehst du?«
»Ja.«
»Es ist eine Maschine aus winzigen Bausteinen. Diese Maschine löst den Schmerz aus und das Unwohlsein.«
»Was soll ich tun?«
»Versuch, diese Maschine zu spüren. Sie ist unvorstellbar klein, und nichts an ihr lebt. Sie ist nicht einmal ein Virus.«
»Ich soll etwas Totes in mir suchen«, sagte Sue. »Und dann?«
»Zerstöre es«, sagte Rhodan. »Mach es unschädlich.«
»Ich gehe es suchen«, sagte Sue und schloss die Augen wieder.
Rhodan konnte zusehen, wie ihr die Schweißperlen auf die Stirn traten und
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