Perry Rhodan Neo 026 – Planet der Echsen
sicher, ob er Ärger oder Mitleid verspüren sollte. War das Mädchen nun einfach trotzig, oder hatte es tatsächlich noch immer solche Angst vor ihm, dass es nichts über sich preisgeben wollte? Er versuchte es mit gutmütigem Spott. »Was ist los mit dir? Vermagst du nur den Kopf zu schütteln?«
Sie schüttelte den Kopf – und Bai Jun merkte, dass er die Frage ungeschickt gestellt hatte.
Doch auch als er sie anders formulierte, hatte er kaum mehr Erfolg. Cui blieb einsilbig. Abgesehen von der offensichtlichen Information, dass sie ein Straßenkind ohne jede Bindung war, gelang es Bai Jun nicht, ihr Informationen über ihre Vergangenheit zu entlocken.
Irgendwann fiel ihm auf, dass Lhundup den Rückspiegel ein wenig verrückt hatte und immer wieder neugierig zu ihnen nach hinten schaute. Sein Assistent konnte seine Aufmerksamkeit gefahrlos teilen. Die Straße nach Terrania war dank der hell strahlenden Masten, die neben ihr verliefen, gut ausgeleuchtet, und das nächste Fahrzeug, ein Bus mit Besuchern der Einweihung des Fusionsreaktors, fuhr fast einen halben Kilometer vor ihnen.
»Darf ich es mal versuchen?«, mischte sich sein Assistent schließlich ein.
Überrascht sah ihn Bai Jun an. »Natürlich, bitte.«
Lhundup setzte den Blinker und hielt am Straßenrand. Sie befanden sich noch immer gut fünfzig Kilometer von Terrania entfernt. Er öffnete die Fahrertür, stieg aus und ging um die Limousine herum. Dann machte er die Tür neben Cui auf. Ein Schwall eisiger Nachtluft drang ins Innere des beheizten Wagens.
Der kleinwüchsige, aber stämmige Tibeter machte eine auffordernde Geste. »Steig aus, wenn du magst«, sagte er. »Du kannst gehen. Niemand hält dich fest. Wenn du nicht bei uns sein willst, wenn du nicht mit uns reden willst, hier ist der Weg zurück in dein altes Leben.«
Bai Jun hielt unwillkürlich den Atem an. In jeder anderen Nacht wäre es eine grausame Wahl gewesen. Entweder du bist nett zu den beiden Onkeln, oder sie lassen dich da draußen erfrieren , schien sie zu besagen. Die Januarnächte in der Gobi waren klirrend kalt, und so weit draußen in der Wüste würde Cui nirgendwo Schutz finden.
Natürlich war es mittlerweile anders. Eine riesige Kolonne Fahrzeuge folgte ihnen vom Yinshan-Gebirge aus in Richtung Terrania. Niemand würde einer jungen Anhalterin eine Mitfahrgelegenheit verweigern.
Trotzdem war es ein sehr deutliches Ultimatum.
Cuis Blick huschte von Bai Jun zur offenen Tür und zurück.
Der Bürgermeister bemühte sich um eine möglichst neutrale Miene. Es hoffte, dass die Kälte sie davon abhalten würde, auszusteigen, denn er wollte Cui nicht schon wieder verlieren – vor allem nicht so. Aber er begriff, dass er ihr die Wahl lassen musste. Sie selbst musste einsehen, dass es ihr bei ihm besser ergehen würde als draußen auf der Straße.
Zögernd schwang Cui ein Bein aus dem Wagen und lehnte sich ein wenig nach draußen. Lhundup rührte sich nicht, sondern sah sie nur auffordernd an. Wie ein sprungbereites Tier hockte die junge Diebin an der Schwelle zur Dunkelheit. Sie konnte darin eintauchen, wieder in der Anonymität verschwinden und sich den Zwängen, die ihr Bai Jun auferlegen mochte, entziehen. Doch gleichzeitig erwarteten sie dort Kälte und Einsamkeit.
Unvermittelt kam Cui zu einem Entschluss. Sie packte den Türgriff, zog das Bein zurück, riss die Tür zu und rutschte in einer schnellen Bewegung bis zu Bai Jun hinüber. Schutz suchend schmiegte sich ihr magerer Körper an den seinen.
Bai Jun legte ihr den Arm um die Schultern. Nicht wie ein viel zu alter Freier einer viel zu jungen Prostituierten, sondern wie ein Vater seiner Tochter. »Danke, dass du bei uns bleibst«, sagte er. »Niemand wird dir etwas antun. Das verspreche ich.«
Sie fuhren weiter, und erstaunlicherweise schien der Zwischenfall das Eis gebrochen zu haben. Zwar redete Cui noch immer nicht, aber sie rückte auch nicht von Bai Jun ab, sondern legte vielmehr ihren Kopf an seine Schulter und war bereits zehn Minuten später eingeschlafen.
»Woher wusstest du, was zu tun war?«, wollte Bai Jun von Lhundup wissen.
Lhundup grinste. »Mein Onkel Dalaimoc sagt immer: ›Wenn ein Gast dein Herdfeuer nicht schätzt, erlaube ihm, im Freien zu schlafen.‹ Und Cui schien einen Hinweis zu brauchen, wie schön unser Herdfeuer ist.«
Bai Jun schmunzelte. »Dein Onkel ist ein kluger Mann.«
»Ja das ist er«, bestätigte Lhundup.
5.
Der Herr des Geleges
Topsid, noch elf Wochen
»Komm,
Weitere Kostenlose Bücher