Perry Rhodan Neo 027 – Das Gespinst
dem Abflug zum Mars Daten geben lassen, die Geschichte des Roten Planeten studiert, über den religionspolitischen Fauxpas der Römer in sich hineingelacht, da in Griechenland ganz sicher kein Erdenmensch vom blutrünstigen Ares abstammen wollte. Cyr hatte sein Wissen durch literarische und mythologische Geschichten ergänzt und erweitert. Doch schon vor den spannenden Erzählungen des Erdenmenschen hatte sich Hetcher mit dem Planeten auseinandergesetzt, der – stellte man sich ihn terraformt vor – seinem Heimatplaneten ähnelte.
Schon über das Wort »Planet« hatte er den Mund verzogen, denn laut der Übersetzung bedeutete Planet »umherirren«. So sahen die Erdenmenschen das. Planeten irrten kopflos umher. Von Göttlichkeit oder höherer Fügung keine Spur.
Aber da waren die wunderschönen Namen, die ein Mensch namens Schiaparelli dem Mars beim Erschaffen einer neuen Karte im neunzehnten Jahrhundert der Erdzeit angedichtet hatte: »Elysium«, »Tharsis«. Das klang nicht einfach nach kartierbarer Realität, sondern nach Sehnsüchten, Visionen vom Fernen, Fremdartigen und Versunkenen. Diese Namen schwangen gut, das spürte er beim Lesen. Leider schienen Menschen wie Schiaparelli selten zu sein.
Ein Findling unter den Reifen durchschüttelte den Beetle. Hetcher fühlte in den Stein hinein, der sich freute, dass er wahrgenommen wurde. Der Brocken hatte die Räder liebkost, hatte darum gebeten, berührt zu werden, und auch der Beetle surrte hell, Freude schwang um das Mobil wie eine Wolke aus goldenem Licht. Sie fuhren voran, immer voran, berührten den lebenden Boden, streichelten ihn zusammen mit den Jahrmillionen, die er alt war. Das war gut. Jedes Staubkorn funkelte, um Hetcher zu erfreuen, und er war gekommen, die Staubkörner zum Lachen zu bringen. War das nicht sein eigentlicher Lebenszweck? Die Aufgabe, die er genau in diesem Moment hatte? Letztlich ging es einzig darum: den Moment zu fühlen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Hetcher verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Hätte er lachen können, es wären laute Töne geworden, herzlich und urwüchsig, die seinem Mund entsprungen wären. Sie denken, ich wäre allein , dachte er erheitert. Cyr meint, dass ich einsam sein muss in dem, was er Einöde des Mars nennt. Er kennt so viele Geschichten über diesen Planeten und hat doch nichts begriffen.
Es stimmte nicht. Hetcher war niemals allein gewesen. Alles um ihn herum lebte, atmete, fühlte. Die Dinge hatten Auren, die sie umgaben und verhießen, dass sie mehr waren als Dinge. Jedes winzige Staubkorn besaß eine Seele. Viele von ihnen sangen unablässig, ehrten ihr Sein und die Existenz an sich. Sie waren friedvoll, es genügte ihnen, zu existieren, selbstvergessen zu singen und sich strahlend wie Sterne in Miniatur vom Boden zu erheben, wenn die Reifen sie brausend grüßten.
Hetcher schloss die Augen und fühlte, wer in seiner Nähe am meisten Unterhaltung wünschte. Es war ein Felsen, vielleicht einen Kilometer vor ihm, der ihm zurief.
»Ich komme zu dir, Bruder Fels«, sagte Hetcher in Gebärdensprache, während das Marsmobil gemäß den Voreinstellungen weiterfuhr und sich automatisch seinen Weg durch die Steinwüste suchte. »Du bist nicht länger allein unter deinesgleichen, mein Freund. Mein Weg wird deinen Standort kreuzen. Hetcher hört dich, oh ja. Deine Stimme spricht deutlich.«
Er öffnete die Augen und blickte nach vorn, in die scharfen Kegel der Scheinwerfer, die rostroten Grund anstrahlten. Eben ging die Sonne über dem Felsenmeer unter. Der lachsfarbene Schein veränderte sich, wurde zu einem warmen Blauviolett, das über den Himmel strich und das Licht der Wega ehrte. Wäre die Sonne nicht winzig gewesen, Hetcher hätte für einen Augenblick glauben können, dass er vertrautes blaues Licht aus seiner Heimat sah. Der ganze Mars hat eine Seele. Wie die Erde und jeder einzelne Planet im Wega-System. Wenn man ganz still ist, kann man das Seelenwispern hören: wie sie sich zuflüstern, durch die unendliche Weite, und jahrtausendealte Geheimnisse ausplaudern.
Der Beetle fraß Kilometer um Kilometer. Durch die Voreinstellungen musste Hetcher sich um nichts kümmern. Das Mobil folgte der etablierten Route durch die Valles Marineris zur Sinharat Base. Hetcher wusste, dass die Base nicht sein eigentlicher Anlaufpunkt war. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, an einer der Versorgungsstationen zu halten, um Nahrung und Sauerstoffvorräte aufzufüllen, aber nun saß ihm Cyr im Nacken.
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