Persephones Erbe (German Edition)
half mir nur ausgerechnet hier gar nichts, im Gegenteil. Ich konnte vielleicht mein Gehör umschalten, aber meine Augen nicht. Schatten liefen im Schein meiner Kerze über die Wände, viel mehr Schatten, als ihre bescheidene Flamme eigentlich gebären durfte.
Kati
?, flüsterte Armin.
Was ist passiert
?
Einer der vielen Schatten trat aus der Wand, kam auf mich zu. Ich machte einen erschrockenen Satz rückwärts und stolperte über den Krug. Er zerschellte im Staub. Schwarzes Blut ergoss sich über den Boden, floss in eine der beiden Spuren, die von den antiken Karren in den weichen Stein des Untergrunds gegraben worden waren.
Himmel, eine Blutrinne, das war alles was ich noch denken konnte. Ich hielt den Atem an.
Zuerst geschah nichts.
Seltsamerweise empfand ich keine Angst. Auch nicht, als der Schatten, der aus der Wand getreten war, mir oder vielmehr dem Blut in der Rinne näher rückte. Was zuerst beinahe wie seine Gestalt ausgesehen hatte, schwebte nun als hauchfeines Gebilde wie Rauch oder Nebel frei in der Luft, wabernd, sich in alle Richtungen ausbreitend. Nicht mehr lange und von Armin blieb nur mehr eine kaum wahrnehmbare Trübung in der Luft. Doch als sein Schatten die Blutrinne berührte, änderte er sich dramatisch. Es entstand ein Wirbel, eine Verdichtung des duftigen Rauchgebildes und nach und nach eine schattenhafte Gestalt.
Armin stöhnte. Es war seine Stimme, eindeutig.
Kati? Was ist mit mir. Bin ich tot?
Ich nickte unwillkürlich. Doch gleichzeitig wich ich mit meiner Kerze zur Sicherheit über die zweite, trockene Radspur der antiken Karren zurück. Schatten über Schatten quollen jetzt aus der Wand. Als erster mein Vater. Ich beschirmte die Kerzenflamme mit einer Hand, wollte noch weiter zurückweichen. Aber es war bereits zu spät. Auch hinter mir drangen Schatten aus den Felswänden. Gestalten waberten um mich. Sie mieden meine Kerze, deren Schein ihnen offenbar die Substanz nahm. Doch das Blut zog sie an.
Eine Menschenmenge begann um mich zu schreien und zu streiten. Es war ein Krawall wie bei einer Massenschlägerei. Jeder Schatten wollte zu dem Blut.
Armins Gestalt bekam allmählich ein Gesicht.
Er sah so todtraurig aus, dass es mir das Herz abdrückte. Gleichzeitig war ich froh. Ich wollte ihm sagen, dass es mir leid tat. Dass ich ihn gerne zurückhaben wollte. Und ob er damit einverstanden war, wenn ich Pluto bat, ihn mir zurückzugeben.
Doch ich merkte sehr rasch daran, dass er mich überhaupt nicht wahrnahm. Sein Schatten drehte suchend den Kopf. Und die anderen Toten, die sich um das Blut balgten, beachteten mich ebenso wenig. Für mich war es, als stünde ich vor einer Großleinwand. Ich sah die Toten, wenn auch nicht sehr deutlich und ich verstand mindestens einzelne Worte von dem, was sie sprachen. Doch sie sahen mich nicht.
Eine dünne Frau, die nach ihrem Kind rief, erregte meine Aufmerksamkeit.
Hilft mir denn keiner? Wo ist mein Kleiner?
Zwei jungen Männern war offenbar die Schwester abhanden gekommen. Sie riefen ihren Namen, sagten, es täte ihnen leid, furchtbar leid. Ich hörte ihren Namen und da fiel es mir wieder ein. Die Geschichte hatte mir Zachi erzählt. Es war einer seiner Fälle. Der eine Bruder hatte die Schwester getötet, die seiner Ansicht nach Schande über die Familie gebracht hatte. Darauf hatte zweite Bruder den Mörder getötet und dann sich.
Ich begriff, dass die Schwester der beiden Brüder schlief. Sie hatte den ewigen Frieden gefunden, aber ihr Mörder und der Mörder ihres Mörders fanden ihn nicht. Es waren offenbar nur die unruhigen Toten, die etwas im Leben zurückgelassen hatten, die ich hörte.
Kati
?
Hallo, Katinka
! Natürlich, mein Vater. Bei ihm wusste ich, was ihn antrieb, warum er mich rief. Doch auch er sah und hörte mich nicht. Mein Vater suchte mich genauso wie Armin. Beide riefen mich. Mein Vater war seit achtzehn Monaten tot. Seit ich den Gerichtsbeschluss zur Abstellung der Maschinen erwirkt hatte, die seinen hirntoten Körper am Leben erhalten hatten. Eine Gnade. Mein Irrtum. Doch ich verbot mir, ausgerechnet hier darüber zu philosophieren. Ich konnte nicht zurücknehmen, was ich in gutem Glauben getan hatte. Damit musste ich nun leben.
Ich musst auch damit leben, dass ich Armin umgebracht hatte. Warum nicht den Tatsachen ins Auge sehen. Sein Tod war meine Schuld. Wäre ich in der Duschgrotte dazwischen gegangen, hätten ihn die Nixen nicht gekriegt. Wäre, hätte, wenn.
Es war vorbei. Armin flüsterte vor mir. Der
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