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Persilschein

Persilschein

Titel: Persilschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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ihr Verehrer sie versetzt?
    Dean Martin schmachtete I’ll Always Love You aus den Lautsprechern. Einige Paare bewegten sich eng umschlungen auf der Tanzfläche. Auch mehrere Frauen tanzten miteinander. Kein Wunder – im Central Café war der Frauenüberschuss deutlich sichtbar. Ein einzelner Mann saß an keinem der Tische.
    Marianne Berger seufzte. Halb acht. Er würde nicht kommen. Enttäuscht stützte sie das Kinn auf ihre Handfläche. Es war ihr Alter, ohne Frage. Mit Anfang vierzig konnten sie mit den jungen Dingern, deren Männer im Krieg gefallen waren, nicht konkurrieren. Die führten keinen ständigen Kampf gegen die überflüssigen Pfunde und passten problemlos in die langen, hautengen Röcke mit Beinschlitz.
    Manfred arbeitete in derselben Firma wie sie, war allerdings etwa fünf Jahre jünger. Umso mehr hatte sie sich gefreut, als er sie zum Tanzen eingeladen hatte. Bisher hatten sie sich so gut wie nicht beachtet. Sie waren Kollegen, mehr nicht. Das heutige Treffen sollte den Anstoß für ein Kennenlernen liefern. Sie hatte sich so viel vorgenommen. Aber er war nicht gekommen. Mistkerl!
    Viertel vor acht. Was sollte sie tun? Zahlen und gehen? Für einen Moment war sie versucht, ihrem Selbstmitleid nachzugeben. Dann schmetterte Vico Torriani Santa Lucia durch das Café. Ihr derzeitiges Lieblingslied. Das gab den Ausschlag – sie blieb und würde sich amüsieren. Jetzt erst recht!
    Drei Männer betraten das Central . Ohne Damenbegleitung! Sie nahmen auch nicht den Weg zu den wenigen Tischen, an denen andere Frauen einzeln oder zu zweit saßen, sondern steuerten die freien Plätze weiter hinten im Saal an.
    Verstohlen musterte Marianne die Neuankömmlinge. Zwei von ihnen trugen graue Anzüge mit großem Revers, breite Krawatten und seidene Einstecktücher. Einer der beiden sah wirklich gut aus. Schlank, mit dunklem, vollem Haar. Und kein Ehering, soweit Marianne das aus der Entfernung erkennen konnte.
    Der Dritte kam eher unscheinbar daher. Stoffhose, Pullover, keinen Binder. Völlig unangemessen für einen Tanzabend, dachte sie.
    Marianne registrierte, dass sie die Aufmerksamkeit des Schlanken auf sich gezogen hatte. Er suchte Blickkontakt. Ertappt sah sie auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. So einfach wollte sie es dem Unbekannten nicht machen.
    Fünf Minuten später trat die Serviererin an ihren Tisch, eine Sektschale auf ihrem Tablett.
    »Das habe ich nicht bestellt«, wunderte sich Marianne Berger.
    »Von dem Herrn dahinten«, entgegnete die Kellnerin und lächelte verschwörerisch.
    Marianne blickte in die angegebene Richtung. Der Schlanke deutete eine Verbeugung an und hob sein Glas.
    Für einen kurzen Moment erwog sie, das Getränk zurückgehen zu lassen. Normalerweise ließ sie sich nicht von einem völlig Fremden einladen. Doch sie griff zum Champagnerkelch und trank einen Schluck. Dem Fremden zulächelnd stellte sie ihr Glas wieder ab. Sie erkannte den zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes und wusste: Es war nur eine Frage der Zeit, bis er ihr seine Aufwartung machte.
    Tatsächlich musste sie nur wenige Minuten warten. Der Unbekannte stand auf, näherte sich ihrem Tisch und neigte den Kopf. »Darf ich bitten?«, fragte er. Seine Stimme war tief und melodisch, geradezu einschmeichelnd.
    Marianne Berger tat so, als müsse sie das Angebot gründlich abwägen. Dabei war ihre Entscheidung schon gefallen, als sie den Sekt akzeptiert hatte. »Gerne«, erwidert sie, nahm ihren Hut ab, schüttelte ihr Haar und erhob sich.
    Ihr neuer Verehrer war ein guter Tänzer. Er führte souverän, ohne zu dominieren. Zusammen schwebten sie über die Tanzfläche. Marianne war hingerissen – was für ein Mann! Trotzdem löste sie sich nach einer Viertelstunde von ihm. »Entschuldigen Sie, aber ich bin etwas außer Atem. Ich möchte mich ein wenig frisch machen.«
    Mit Genugtuung registrierte sie seine Enttäuschung. Genau diese Reaktion hatte sie beabsichtigt.
    Als er sie zurück zu ihrem Platz führte, fragte er: »Dürfte ich vielleicht später noch einmal um einen Tanz bitten?«
    Sie griff zu ihrer Handtasche und sah ihm in die Augen. »Das würde mich freuen.«
    Nachdem sie von der Damentoilette zurückgekommen war, verschwendete ihr Verehrer keine Zeit und stand erneut vor ihr. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Paul Krönert.«
    »Angenehm, Marianne Berger«, antwortete sie und reichte ihm die Hand.
    Krönert beugte sich tief nach vorn und hauchte einen Handkuss. Sie schmolz dahin. Ein

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