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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Probst
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war wieder online.

20.
    Am Unfallort flatterten noch die zerrissenen, rotweißen Absperrbänder. So hatte Anton Schwarz keine Mühe, die Stelle zu finden, wo der Selbstmörder sich vor Klaus Englers Lokomotive geworfen hatte. Der Schotter war blutgetränkt. Er blickte sich um und ging etwa fünfzig Meter die Gleise entlang bis zu einem Markierungsschildchen, das die Spurensicherung vergessen hatte.
    Schwarz hob den Blick. Direkt vor ihm lag die Friedenheimer Brücke. Dahinter sah er das Hauptzollamt mit seiner imposanten Kuppel, die alles überragende Rundsäule des Munich City Towers und ein ganzes Stück entfernt die Zwiebeltürme der Frauenkirche. Links von ihm, auf der anderen Seite des breiten Gleisgeländes, war die Baustelle des neuen Bahnhofs am ›Hirschgarten‹ und an ihrem östlichen Rand der Ort, den Neonazis zur Gedenkstätte für Tim Burger erklärt hatten.
    Schwarz war klar, dass er nicht viel Zeit hatte. Wahrscheinlich war schon die Bundespolizei informiert, dass sich jemandauf der Bahnanlage herumtrieb. Er stapfte eilig zur Unfallstelle zurück, als er plötzlich zwischen den Schwellen einen hellen, seltsam verformten Gegenstand sah. Sollte die Spurensicherung etwas übersehen haben? Sein Herz begann zu rasen. Er hielt Ausschau, ob sich auch kein Zug näherte, dann lief er los und fand sich mitten in seinem Alptraum wieder: Es war die Hand! Er holte tief Luft, bückte sich   … und griff nach einer vom Wind aufgeblasenen Plastiktüte.
    Sein Lachen hatte etwas Befreiendes. Vielleicht konnte er sich jetzt so langsam mal von seinem Alptraum verabschieden.
    »Hallo?« Ein Mann in orangefarbener Kleidung näherte sich. »Sie wissen, Sie dürfen hier nicht rumlaufen.«
    Schwarz nickte unbeeindruckt.
    »Da, sonst kriegen Sie Stress.« Er hielt ihm eine Weste in Warnfarbe hin.
    »Kriege ich sowieso. Außerdem trage ich keine Kindergrößen.« Er hängte sich die zu kleine Weste über die Schulter.
    »Sie sind doch Herr Schwarz?«
    Er nickte. »Und Sie Herr Ebubekir?«
    »Edi, einfach Edi.«
    »Herr Engler hat mir gesagt, dass Sie ursprünglich aus Albanien stammen und schon lange beim Gleisbau arbeiten?«
    »Genau, und ich helfe gern, wenn mich so ein Promi drum bittet.«
    »Ein Promi? Engler?«
    »Ja, klar. Der ist einer von denen da ganz oben. Sie wissen schon: Börsengang und so.«
    »Thomas Engler? Sagen Sie bloß. Jetzt erzählen Sie mal, was Sie beobachtet haben.«
    Edi nickte eifrig und rannte zu einer mächtigen Mauer,die das Gleisgelände von einem höher gelegenen Grundstück an der Landsberger Straße trennte. Er trat halb hinter einen Stützpfeiler, wedelte mit den Armen und rief etwas, das Schwarz wegen eines vorbeifahrenden Güterzugs nicht verstand. Aber er wusste auch so, dass Edi ihm sagen wollte, dass der Selbstmörder und sein Begleiter dort auf den Zug gewartet hatten.
    Die weitere Rekonstruktion des Suizids wurde, wie von Schwarz schon befürchtet, durch zwei Bundespolizisten vereitelt, die ihn und Edi ziemlich rüde vertrieben.
    »Kein Problem«, sagte Edi, »ich kenne Kneipe.«
    »Sind Sie nicht im Dienst?«
    »Habe mich für Pause abgemeldet.«
     
    Der ›Biertopf‹ lag nicht weit von Cindys Wohnmobil entfernt auf der anderen Seite der Landsberger Straße zwischen einer Zoohandlung und einem Geschäft für Hörgeräte. Schwarz hatte als Polizist die trostlosesten Stehkneipen der Stadt kennengelernt, diese hier fehlte ihm aber noch in seiner Sammlung. Der schlauchartige, fensterlose Raum mit der abgehängten, nikotinfarbenen Gipsdecke hätte ihn nicht weiter beeindruckt, aber die dicke Schicht aus Fett und Staub, die auf einer weißblauen Marienfigur aus Plastik, einem mit zahlreichen Unterschriften versehenen Damenslip und anderen sympathischen Erinnerungsstücken lag, verursachten ihm leichte Übelkeit. Er wich den klebrigen Bierpfützen auf dem Stragula-Boden aus und erreichte den Tresen.
    »Hier stört uns keiner«, sagte Edi.
    »Das glaube ich sofort.«
    Eine gut siebzigjährige Blondine im weit ausgeschnittenen Top stellte ihnen unaufgefordert zwei Pils hin.
    »Wenn schon, hätte ich gern ein Dunkles«, sagte Schwarz.
    »Wir sind eine Pilskneipe.«
    »Auch recht.«
    »Ja, was habe ich gesehen?«
    Edi warf sich in Pose, und in dem Moment begriff Schwarz, warum Buchrieser ihm keinen Glauben geschenkt hatte. Der Ex-Kollege war leider nicht frei von Vorbehalten gegenüber, wie er es nannte, orientalischen Geschichtenerzählern, selbst wenn sie aus Sizilien oder Spanien

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