Personenschaden
genau«, riefen einige.
Thomas Engler lächelte. »Dann muss ich Sie aber fragen, welchen Informationswert ein sogenannter Bahnsuizid hat. Es ist ja keine Sensation, dass Menschen sich auf diese Weise das Leben nehmen.«
»Nur leider ist der Öffentlichkeit aufgrund unserer zurückhaltenden Informationspolitik nicht bewusst, dass sich in Deutschland jedes Jahr über tausend Menschen vor einen Zug werfen«, sagte ein jüngerer Reporter mit Baseballkappe.
»Wir haben nichts dagegen, wenn Sie diese Zahlen nennen«, erwiderte Engler, »und über die Lokführer berichten, die laut Statistik alle damit rechnen müssen, in ihrem Berufsleben mindestens einmal die Katastrophe eines Suizids zu erleben.«
Er machte eine kurze Pause. »Ich nehme an, Sie haben die Reportage über meinen Vater gelesen?«
»Da bin ich jetzt gespannt«, sagte der ältere Journalist, »die war doch aus Ihrer Werkstatt?«
Einige Anwesende, die das wohl auch geahnt hatten, schmunzelten, andere schauten ungläubig zu Thomas Engler.
Er machte eine Unschuldsgeste. »Manchmal juckt es mich halt noch in den Fingern. So lange ist es auch noch nicht her, dass ich als Journalist in Ihren Reihen gesessen bin.«
»Und diese Reportage war kein Verstoß gegen das Stillhalteabkommen?«, rief der Journalist mit der Baseballkappe.
»Nein«, sagte Engler mit bebender Stimme, »weil nicht der Selbstmörder im Mittelpunkt stand, sondern der Lokführer,der dazu missbraucht wurde, einen Menschen zu töten – in diesem Fall war es mein Vater.«
Unter den Pressevertretern war es still geworden. Sie alle kannten Thomas Engler nun schon eine Weile in dieser Position und hatten ihn stets als jovial und eher distanziert erlebt. Mit einer solchen persönlichen Einlassung hatte wohl niemand gerechnet.
Er fuhr ruhiger fort. »Ich weiß, Ihr Job ist eine möglichst objektive Berichterstattung. Und natürlich interessieren Sie sich für den Selbstmörder. Trotzdem möchte ich Sie auch bei dem letzten, tragischen Fall wieder zur Zurückhaltung aufrufen.«
Schwarz hatte schon eine ganze Weile zwei junge Frauen beobachtet, die aufgeregt miteinander tuschelten. Jetzt erhob sich eine der beiden. »Claudia Karner, Stadtbote. Wir haben in unserem Blatt eine kurze Meldung über den aktuellen Bahnsuizid gebracht.«
»Keine Sorge, das wird bestimmt keine großen Wellen schlagen«, höhnte der ältere Journalist.
Die junge Kollegin zog einen Mundwinkel nach oben und sprach weiter. »Wir haben heute einen anonymen Anruf erhalten. Dabei wurden uns die Namen des Selbstmörders und des Lokführers genannt, die ja von der Bahn zurückgehalten wurden.«
Schwarz konnte sehen, wie Thomas Englers Gesichtszüge entgleisten und er sich mit der Hand ein paar Mal nervös durchs Haar fuhr, ehe er sich wieder fasste. »Ich hoffe, Sie greifen sonst auf seriösere Quellen zurück als auf anonyme Anrufer?«
»Wir haben selbstverständlich versucht, bei der Polizei eine Bestätigung zu bekommen«, sagte die Journalistin, »aber dort hat man sich auf den Datenschutz berufen.«
»Vielleicht sollten Sie den dann auch respektieren.«
Da sprang die zweite Mitarbeiterin des Werbeblatts auf. »Was reden wir noch drum herum? War der betroffene Lokführer zum zweiten Mal Ihr Vater oder nicht?«
Alle im Saal schauten jetzt gespannt zu Engler, der wie paralysiert auf dem Podium saß.
»Dann«, brach der ältere Journalist endlich das Schweigen, »muss ich Sie aber fragen, Herr Engler, ob Sie wirklich davon überzeugt sind, dass eine Reportage wie die über Ihren Vater keine Nachahmer provoziert?«
Thomas Engler räusperte sich. »Mein Anliegen war es, mit einer Reportage über die Auswirkungen eines Bahnsuizids auf den Lokführer potentielle Selbstmörder abzuschrecken. Nur das und nichts anderes. Über die Hintergründe des aktuellen Falls weiß ich einfach nicht genug.«
Er trank einen Schluck Wasser und korrigierte die Position seines Mikrophons. »Meine Damen und Herren, ich habe diese Pressekonferenz auf Drängen aus Ihren Reihen einberufen. Ich wollte sie dazu nutzen, unser Abkommen zur Prävention der Bahnsuizide noch einmal zu erläutern und mit Ihnen zu erneuern. Wir alle sind doch davon überzeugt, dass in diesem Bereich mit freiwilliger Zurückhaltung eine Menge zu gewinnen ist. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«
Der Beifall war kurz. Die Journalisten umringten sofort die beiden Kolleginnen. Engler blieb erschöpft auf dem Podium sitzen. Schwarz ging zu ihm. »Dürfte ich
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