Personenschaden
Parallelen zum Burger-Suizid erklären.«
Schwarz bemerkte, dass Englers linkes Augenlid nervös zuckte. »Gibt es jemanden, der Grund hätte, sich an Ihrem Vater zu rächen?«
»Ach was, der kommt doch mit allen gut aus. Einen Menschen wie ihn kann man gar nicht hassen.«
Wenn einer hassen will, dachte Schwarz, findet er immer einen Grund. »Ich suche einen Mann Mitte dreißig mit einer Gehbehinderung.«
Engler macht eine bedauernde Geste.
»Es könnte sein, dass Ihr Vater weiß, um wen es sich handelt. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären, dass er mich sofort zurückgepfiffen hat, als ich ihm den Verdächtigen beschrieben habe.«
»Ist das wahr?« Englers Verblüffung war ehrlich.
»Meinen Sie, ich kann mit ihm sprechen?«
»Ausgeschlossen. Dazu ist er nicht in der Lage.«
»Tja, warum wollte er bloß nicht, dass ich diesen Mann finde?«, sagte Schwarz nachdenklich und begann, den zum Espresso gereichten Gratiskeks zu zerbröseln.
»Sie müssen ihn finden, Herr Schwarz. Unbedingt. Und diese schreckliche Geschichte aufklären.«
Irritiert bemerkte Schwarz, dass Engler ihm die Hand auf den Arm gelegt hatte. Er befreite sich, indem er einen Schluck Wasser nahm.
»Warum ist Ihnen das so wichtig?« Er sah Engler an.
»Natürlich wegen meines Vaters. Aber ich gebe zu«, wand dieser sich, »dass ich mir einen gewissen Nebeneffekt erwarte.«
»Einen Nebeneffekt?«
»Ja, den Beweis, dass meine Reportage nicht der Auslöser für diesen Wahnsinn war.«
Schwarz nickte. Das hatte er vermutet.
Am Nebentisch nahm eine Gruppe älterer amerikanischer Touristinnen Platz und begann sich lautstark zu unterhalten.
»Ich denke, Sie werden als erstes mit der Familie des Selbstmörders reden wollen«, sagte Engler. »Hier ist die Adresse der Mutter.« Er schob dem verblüfften Schwarz einen Zettel über den Tisch.
»Woher haben Sie die?«
»Ihr Ex-Kollege war so freundlich.«
»Buchrieser? Das darf er doch gar nicht.«
»Er hat mir auch nur den Namen genannt. Den Rest hat mein Sekretariat erledigt.«
»Matthias Sass«, las Schwarz.
23.
Das Haus von Irmgard Sass lag unweit des Untermenzinger Friedhofs in einem in den sechziger Jahren inmitten von Äckern und Wiesen entstandenen Viertel. Die Bewohner bezeichneten sich stolz als Obermenzinger und erklärten Stadtpläne, die sie Untermenzing zuschlugen, zu Fälschungen.
Irmgard Sass hatten solch kleinliche Abgrenzungen nie interessiert. Sie war glücklich, dass sie von ihrem Haus in kaum zehn Gehminuten die katholische St. Meinrads-Kirche und in etwa zwanzig Minuten die Obermenzinger Pfarrei Leiden Christi erreichen konnte. Seit dem frühen Tod ihres Mannes bei einem Badeunfall im Langwieder See besuchte sie mindestens dreimal wöchentlich die Heilige Messe. Sie sang in Untermenzing im Kirchenchor und engagierte sich in Obermenzing ehrenamtlich in der Altenpflege. Sie opferte sich gern für andere auf. »Es muss auch Menschengeben, die sich selbst nicht so wichtig nehmen«, war ihr Lebensmotto.
Obwohl sie schon mit dreißig Jahren Witwe geworden war, wollte sie nie mehr eine Verbindung mit einem Mann eingehen, selbst wenn sich ihre schwierige finanzielle Lage dadurch vielleicht verbessert hätte. Als einmal ihr geliebtes Häuschen von einer Zwangsversteigerung bedroht war, hatte sie das als eine ihr von Gott auferlegte Prüfung verstanden und klaglos hingenommen.
Dann war plötzlich eine ihrer Großtanten verstorben und hatte ihr genug vererbt, dass sie das Haus halten und unbesorgt auf bescheidenem Niveau weiterleben konnte.
Matthias, ihr einziger Sohn, war immer ihr ganzes Glück gewesen. Ihr kleiner Mann, wie sie ihn früher nannte, hatte sie für alle Entbehrungen entschädigt. Besonders stolz war sie gewesen, als Matthias bald nach seiner Firmung in St. Meinrad zum Oberministranten ernannt worden war. Damals hatte sie zum ersten Mal den Herrn Pfarrer nach Hause eingeladen und ihm einen gedeckten Apfelkuchen gebacken, ihre Spezialität. Er war von da an häufiger zu Besuch gekommen, und Irmgard hatte das Gefühl beschlichen, dass er sie sehr gerne sah. Auch sie spürte eine gewisse Sehnsucht nach ihm, war ihm aber dankbar dafür, dass er sie nie in Gewissenskonflikte brachte.
Der Herr Pfarrer hatte früh vermutet, dass Matthias zum Priesteramt bestimmt sein könnte. Sie hatten beschlossen, darüber nicht mit dem Jungen zu sprechen, um ihm eine unbeschwerte Kindheit und Jugend zu gönnen. Doch Matthias hatte auch ohne ihr Zutun sein
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