Personenschaden
Verrückte in meinem Zimmer, der den ganzen Tag betet und die Krankenschwestern als Huren beschimpft.«
»Wann können Sie hier wieder raus?«
»Jederzeit.«
Schwarz sah ihn überrascht an.
»Ich muss nur jemanden finden, der die Verantwortung übernimmt. Aber das will ich weder meiner Frau noch meinem Vater zumuten.« Seinen Sohn ließ er merkwürdigerweise unerwähnt.
Schwarz sah, dass Englers Hände zitterten. Außerdem hatte er einen Ausschlag an Fingern und Hals – vielleicht eine Nebenwirkung der Psychopharmaka.
»Ich werde nicht mehr fahren«, sagte er plötzlich. »Noch mal schaffe ich das nicht. Ich habe Maschinenschlosser gelernt, vielleicht kann man mich bei der Wartung einsetzen. Da verdiene ich nicht so viel, aber das ist egal. Ich habe ja meine Anna. Wissen Sie, dass sie mich jeden Tag besucht?«
Vielleicht, dachte Schwarz, war es damals seine Frau, die er in den Führerstand der S-Bahn geholt hat. – Wenn dieser Grenzebach sich die ganze Geschichte nicht nur eingebildet hat.
Engler kratzte sich mit der linken Hand am Hals. Dabei rutschte der Ärmel seines Morgenmantels zurück und gab den verbundenen Unterarm frei.
Ihre Blicke trafen sich.
»Haben Sie sich verletzt, Herr Engler?«
»Verletzt? Ja. Aber das spüre ich nicht. Es passiert mir einfach so, sogar im Schlaf. Die Ärzte wissen nicht, wie sie mir das abgewöhnen sollen.«
Der zweite Suizid hat ihn endgültig aus der Bahn geworfen, dachte Schwarz, aber er sagte: »Sie schaffen das, Herr Engler. Da bin ich mir sicher.«
Aber Engler hörte schon nicht mehr zu. Sein Blick folgte wieder dem Eichhörnchen. Schwarz überlegte kurz, ob er ihn nach der Pistole fragen sollte, verzichtete aber darauf. Selbst wenn Engler sie irgendwann in den letzten Wochen entdeckt haben sollte, war es ausgeschlossen, dass er sie in seinem Zustand in die Psychiatrie hatte schmuggeln können.
Der repräsentative Eingangsbereich der Klinik glich der Lobby eines Wellness-Hotels. Schwarz schlenderte an einem kleinen Springbrunnen vorbei, da stach ihm ein abgestellter Rollstuhl ins Auge. Er ging kurzentschlossen hin, setzte sich hinein und zückte sein Handy. Trotz des strengen Blicks des Pförtners tippte er die SMS, die er längst hätte schreiben sollen.
Liebe Eva, sag mir doch, wie es dir geht. Und wann kommst du zurück? Ich würde dich gern am Flughafen abholen.
Er wartete. Nichts geschah, außer dass ein Krankenpfleger ihn vertrieb, weil er den Rollstuhl benötigte. Schwarz setzte sich auf eine Steinstufe. Ich gehe hier nicht weg, dachte er, bevor sie mir nicht antwortet. Aus dem ersten Stock kamen schrille Schreie und brachen jäh ab.
Schwarz saß noch etwa zehn Minuten am Fuß der Treppe,dann siegte die Vernunft über seine Sturheit. Wenn Eva zum Beispiel gerade in der C T-Röhre lag, konnte er lange warten. Außerdem barg die Eingangshalle einer psychiatrischen Klinik doch gewisse Risiken bei allzu eigenwilligem Verhalten.
Sein Handy klingelte auf dem Weg zum Auto.
»Eva?«
»Oho. Wer ist denn Eva? Weiß Monika von ihr?«
»Kolbinger, du.«
»Können wir jetzt loslegen?«
»Wie loslegen?«
»Wir hatten eine Abmachung.«
»Wir?«
»Ich sollte dir einen Tag Vorsprung lassen.«
»Ach so, stimmt. Das ist doch jetzt hinfällig.«
»Wie, hinfällig? Hat sich was Neues ergeben?«
Eine unangenehme Vorahnung beschlich Schwarz. »Hat Thomas Engler sich nicht bei euch gemeldet?«
»Nein, wieso?«
»Mir hat er gestern erklärt, er wolle den Fall der Polizei übergeben. Was ist mit dem Einbruch? Hat er den denn auch nicht angezeigt?«
»Moment.«
Schwarz hörte Kolbinger tippen.
»Nein. Da sehe ich nichts.«
Ich Idiot, dachte Schwarz. Das Ganze war eine Finte. Engler wollte mich loswerden. Aber warum? Um die Sache selbst in die Hand zu nehmen? War ihm denn nicht bewusst, in was für eine Gefahr er sich damit begab? Nein, natürlich nicht. Es hatte sich ja gar keine Gelegenheit ergeben, ihn eindringlich zu warnen und zum Beispiel von dem geplanten Sprengstoffanschlag auf seinen Vater zu erzählen.
Schwarz hasste es, wenn Laiendarsteller die Bühne betraten.Meistens machten sie alles nur komplizierter. Machtmenschen wie Thomas Engler waren die schlimmsten. Da sie in ihrem Berufsleben hauptsächlich von Speichelleckern umgeben waren, neigten sie dazu, Schwierigkeiten und Gefahren sträflich zu unterschätzen. Aber ein zu allem entschlossener und möglicherweise psychisch kranker Gewalttäter wie Achim Grenzebach scherte sich einen Dreck um
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