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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Probst
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Hierarchien.
    »Anton! Du musst deine Karten auf den Tisch legen.«
    »Morgen.«
    »Wie, bitte?«
    »Ich brauche noch einen Tag.«
    »Unmöglich.«
    »Kolbinger, bitte. In vierundzwanzig Stunden ist es dein Fall.«
    »Warum sollte ich das für dich tun?«
    »Muss ich dich daran wirklich erinnern?«
    Kolbinger schwieg. Ihm war nur allzu deutlich bewusst, dass er ohne Schwarz nie Karriere gemacht hätte. Er wäre nicht mal mehr bei der Polizei, wenn der Kollege sich damals nicht für ihn geopfert hätte. »Aber keine Stunde länger, Anton.«
    »Ist klar.«
    Schwarz legte auf und verfluchte sich dafür, Engler Grenzebachs Namen und Wohnort mitgeteilt zu haben – und die Tatsache, dass der eine Gehbehinderung hatte.

42.
    Novalis googelte das Wort »Achillessehnenriss«. »Der laute Knall ist oft nicht zu überhören«, las er, »Patienten erleben den Sehnenabriss wie einen Peitschenhieb.« Er war zwarnoch nie mit einer Peitsche geschlagen worden, wusste aber auch so, dass die Beschreibung nicht zutraf. Vielleicht war es ja nur ein Sehnenanriss. »Typischerweise kann der Patient nicht mehr normal gehen oder auf Zehenspitzen stehen.«
    Er versuchte es. Unmöglich – die Kraftübertragung von der Ferse zur Wade funktionierte nicht mehr. Also vielleicht ein partieller Achillessehnenriss.
    Und? Was spielte das für eine Rolle? Da seine Schmerzen inzwischen einigermaßen erträglich waren, war es ihm egal, ob seine Achillessehne ganz oder nur halb durchgerissen war. Jetzt ging es um Wichtigeres. »Dieser Amok wird weitermachen«, hatte der Detektiv gesagt. »Helfen Sie mir, das zu verhindern.«
    Er holte seine Armeejacke vom Kleiderhaken, stopfte die beiden letzten Büchsen Red Bull in die Taschen und humpelte zur Tür.
    Klar, er hätte János auch eine Mail schicken können.
Hallo, alter Kumpel, erinnerst du dich noch an mich?
Natürlich erinnerte er sich. Schließlich hatte er ihn fast ein Jahr lang mit seiner Liebe verfolgt. Warum hatte er János eigentlich nie erhört? Der Junge war clever, sensibel und sah gar nicht schlecht aus. War er selbst nur zu verklemmt gewesen? Wahrscheinlich. Nähe war für ihn etwas verdammt Kompliziertes. Außerdem hatte er es genossen, dass jemand sich seinetwegen die Augen ausheulte.
    Das Gehen tat doch ziemlich weh. Aber hätte er János nur wegen Amok geschrieben, hätte dieser garantiert versucht, sich rauszuwinden.
Mann, du weißt doch, ich darf keine Kundendaten weitergeben.
Selbstverständlich durfte er das nicht, aber er konnte es. Bei ›Doublecable‹ war Janós inzwischen eine so große Nummer, dass ihn kein Mensch mehr kontrollierte.
    Novalis zog die Tür von außen zu. Er würde János einfachüberrumpeln, und falls er Zicken machte, sich notfalls sogar von ihm küssen lassen. Oder auch mehr. Das war ihm die Information wert. Er war zu allem bereit, wenn Amok endlich das Handwerk gelegt würde.
    Das grelle Licht war unerträglich. Er machte kehrt, um seine Sonnenbrille zu holen.

43.
    Es gab keinen Bahnhof Otterfing mehr, der diesen Namen verdient hätte. Das obere Stockwerk des kleinen Backsteinhauses war vermietet, im Erdgeschoss hatte immerhin ein ›Verein der Eisenbahnfreunde‹ Unterschlupf gefunden. Durch ein Fenster sah Schwarz auf eine liebevoll gestaltete Modelleisenbahn und einige historische Sammelstücke. Früher hatte es hier einen Schalter mit Stückgutannahme, ein Stellwerk für sechs Weichen, einen gemütlichen Warteraum und vor allem eine Toilette gegeben.
    Heute war Otterfing eine Haltestelle der Münchner S-Bahn , die sich in nichts von Neuaubing, Daglfing oder Türkenfeld unterschied. Die Bahnsteige verfügten über die übliche standardisierte Ausstattung. Das viel zu kleine Wartehäuschen schützte vielleicht noch den Fahrscheinautomaten, nicht aber die Kunden vor Wind und Wetter. Die Schaukästen mit der Umgebungskarte und den Fahrplänen waren so mit Graffiti bedeckt, dass alle wichtigen Informationen verborgen blieben. Meistens streikte mindestens ein Entwerter, damit die kurz vor Einfahrt der S-Bahn eintreffenden Fahrgäste noch Gelegenheit zu einem Sprint bekamen.
    Die Uhr über der Plattform immerhin zeigte fast die richtige Zeit: 12.33   Uhr. Die letzte S-Bahn Richtung Münchenwar gerade abgefahren, die nächste Richtung Holzkirchen würde in achtzehn Minuten kommen.
     
    Schwarz sah sich um. Der Bahnhof lag wie ausgestorben da. Er ging von der Treppe der Fußgängerunterführung an der Bahnsteigkante entlang bis zum Ende des Haltebereichs.

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