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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Probst
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und ich gehe ins Bett.« Sie zog sich an seiner Hand hoch und verschwand ins Bad.
    Seit er das Testament seiner Mutter irrtümlich vor der Zeit gelesen hatte, fragte Schwarz sich oft, was ihr wahres Motiv gewesen sein mochte, die jüdische Herkunft zu verleugnen. Er hatte vermutet, dass sie der quälenden Erinnerung an die Shoah durch einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit zu entgehen hoffte. Insgeheim hatte er es sogar für möglich gehalten, dass sie sich aus Opportunismus oder zumindest Bequemlichkeit der neuen Umgebung angepasst hatte. Dafür schämte er sich jetzt.

40.
    Das Standard-Frühstück im ›Lokschuppen‹ bestand aus einer Halben Bier und einer Butterbrezel, entsprechend war das Publikum. Rudi Engler lotste Schwarz zu einem Ecktisch, an dem sie ungestört reden konnten. »Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben, ich brauche dringend Ihren Rat.«
    »Frühstück?«, sagte die Kellnerin.
    »Ja, aber nur Kaffee, bitte«, sagte Schwarz.
    »Kännchen?«
    »Gern.«
    »Ich schließe mich an.« Engler wartete, bis die Kellnerin sich entfernt hatte. »Ich habe gestern in meiner Rede ja angedeutet, dass ich Probleme mit dem Radikalenerlass hatte.«
    »Das war in den siebziger Jahren, oder?«
    »Genau. Damals wurde ich nicht nur von der Lok verbannt, sondern auch aufgefordert, meine Waffe abzugeben.«
    Schwarz sah ihn fragend an.
    »Das hat an meiner Ehre gekratzt, schließlich war ich kein Terrorist, sondern Sportschütze beim ESV München-Ost. Deswegen habe ich meine Walter P 38 als verloren gemeldet.«
    »Und weiter unterm Kopfkissen aufbewahrt?«
    »In einem alten Bergschuh, wenn Sie’s genau wissen wollen. Jetzt ist mir gestern auf einem der Ausstellungsfotos ein Gestapo-Mann aufgefallen, der eine Pistole in der Hand hält. Ich wollte wissen, ob es auch eine P 38 ist, und sie mit meiner vergleichen   …«
    Er blickte Schwarz in die Augen. »Sie ist weg.«
    »Weg? Gestohlen?«
    Rudi Engler hob ratlos die Achseln.
    »Vielleicht täuschen Sie sich mit dem Versteck.«
    »Ich bin alt, aber nicht dement.«
    »Das habe ich nicht behauptet. Wann haben Sie die Pistole denn zum letzten Mal gesehen?«
    Er räusperte sich. »Nach dem ersten Unfall von Klaus. Ich wollte sichergehen, dass sie an ihrem Platz ist.«
    »Kennt irgendjemand das Versteck?«
    »Kein Mensch.«
    »Wer hat einen Schlüssel zu Ihrer Wohnung?«
    »Nur meine Familie: Thomas, Anna und Klaus.«
    »Haben Sie eine Vermutung?«
    Er schüttelte den Kopf. »Was raten Sie mir, Herr Schwarz?«
    »Sie können schlecht den Verlust einer verloren gemeldeten Sache melden.«
    »Eben.«
    »Haben Sie schon mit Ihrem Sohn gesprochen?«
    »Nein, und das möchte ich auch nicht.«
    »Warum?«
    »Er könnte denken, ich unterstelle ihm, dass er sich etwas antun will.«
    Schwarz überlegte. »Ich wollte ihn sowieso mal besuchen. Vielleicht kann ich mit ihm reden.«

41.
    Neben der Tür saß ein gelangweilter Polizist in Uniform. Schwarz erklärte ihm, dass er gern Herrn Engler besuchen würde.
    »Ausweis.«
    Er reichte ihn ihm. Der Polizist griff zum Handy. »Schwarz Anton, 58er Baujahr, Wolfratshausen. Darf der rein?«
    Während er auf eine Antwort wartete, betrachtete er seine Finger und biss am kleinen ein Stück Nagelhaut ab. »Ja?« Er horchte. »Alles klar«. Er legte auf und gab Schwarz seinen Ausweis zurück. »Aber nicht so lang. Zehn Minuten höchstens.«
     
    Schwarz trat in das Krankenzimmer. Im ersten Bett kniete ein älterer Mann und betete. Als er den Besucher bemerkte, verbarg er sein Gesicht hinter den Händen.
    Das zweite Bett war leer.
    Klaus Engler saß in eine karierte Decke gewickelt auf dem Balkon und blickte in den Park. Seine durch die Glassplitter verletzte Stirn war leidlich verheilt. »Da ist so ein Eichhörnchen, das den anderen immer alles klaut«, sagte er, als Schwarz neben ihn trat.
    »Erinnern Sie sich an mich, Herr Engler?«
    »Ja, natürlich.«
    Schwarz war nicht ganz überzeugt. »Ich bin Anton Schwarz.«
    »Ich weiß: Uns verbindet etwas.«
    Für Bruchteile von Sekunden tauchte der Güterzug vor Schwarz’ Augen auf und Tim Burger, der auf die Lok zurannte. Aber die Bilder hatten ihre Kraft verloren. Seit er zu der Stelle zurückgekehrt war, wo Matthias Sass gestorben war, hatte ihn auch sein Alptraum in Ruhe gelassen. Der Kratzer auf der alten Platte ist verschwunden, dachte Schwarz, vielleicht kann ich meine Melodie noch eine Weile spielen.
    »Mich regt dieses gemeine Eichhörnchen auf«, sagte Engler, »aber noch mehr der

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