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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Probst
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Kostüm trug sie eine lila Stola, außerdem hatte sie etwas Rouge aufgelegt.
    »Du siehst wunderbar aus.«
    »Danke.«
    Sie ließ Wasser in ein Glas laufen und setzte sich damit in ihren Sessel. »Mein Gott, war das schön. Als er dann noch Mendelssohn gespielt hat, war es um mich geschehen. Ich habe eine ganze Packung Tempo verbraucht. Meine Platznachbarn werden sich gefreut haben. Hast du Barenboim schon mal gehört?«
    »Ich gehe nie ins Konzert.«
    »Das ist ein Fehler, Tonele, bei Barenboim sogar ein unverzeihlicher. Du musst ihn unbedingt hören. Und nicht erst, wenn er wieder nach München kommt. Weißt du was, ich schenke dir nachträglich zu deinem Geburtstag eine Reise nach Berlin. Und ich komme mit – ganz uneigennützig. Die Loewis waren übrigens auch da. Sie lassen dich grüßen.«
    »Danke.«
    Sie trank einen Schluck. »›Lieder ohne Worte‹, diese wunderbaren Klavierstücke kennst du doch sicher?«
    »Ja, wahrscheinlich schon. Ich mag klassische Musik, aber wenn du mich nach Titeln fragst   …«
    »Ich muss dir noch was erzählen.«
    Er sah sie fragend an. Sie war schlagartig ernst geworden.
    »Gerade in der S-Bahn saß mir ein Mann gegenüber. Er hat mich nur kurz gemustert und den Rest der Fahrt an mir vorbeigeschaut. Aber   …« Sie verstummte.
    »Was war mit ihm?«
    »Er hat mich an jemanden erinnert.«
    »An wen?«
    »Wir hatten ein Badehaus im Lager.«
    »In Föhrenwald?«
    »Hm.«
    Ihr Blick ging ins Leere, sie war auf dem Weg in die Vergangenheit. »Baden war damals etwas ganz Besonderes für mich, schließlich hatte ich fast zwei Jahre lang kein warmes Wasser mehr auf der Haut gespürt. Wir sind immer zu mehreren in den großen Bottich gestiegen, erst die Kinder, dann die jungen Mädchen, die Buben   …« Sie dämpfte ihre Stimme. »Er war der Bademeister, seinen Namen weiß ich nicht mehr. Er war vielleicht fünfzig, nicht sehr groß, aber kräftig. Er hat immer die Eimer mit heißem Wasser herbeigeschleppt. ›Auf passen ‹, hat er gerufen, damit wir uns nicht verbrühen, ›alle aufpassen jetzt!‹ Sonst hat er geschwiegen und uns kaum angeschaut. Er hat auch nie gelacht, aber da war er nicht der Einzige in Föhrenwald. Hat man ihn gefragt, wo er herkommt, hat er ›Treblinka‹ gesagt. Und wo er hin will? ›Weiß nicht.‹
    An einem Morgen im Winter hat man ihn tot hinterm Badehaus gefunden, er war schon ganz starr. Den Kindern wurde erklärt, er sei in der Nacht Sterne gucken gegangen, mit den Füßen festgefroren und umgefallen. Uns Größeren hat man gesagt, dass so etwas passiert, wenn die Seele nicht heilen will.«
    Sie presste die Lippen zusammen und hatte plötzlich Tränen in den Augen.
    »Was war mit dem Mann?«
    »Ich habe gesehen, wie sie ihn weggetragen haben, zum Waschen. Einer ist gelaufen, um das Leichentuch zu holen. Aber dann sind alle zurückgekommen und waren ganz blass. Über das, was sie entdeckt hatten, wollten sie nicht reden. Bringst du mir noch einen Schluck Wasser?«
    Schwarz füllte das Glas und brachte es ihr. Sie trank es hastig aus.
    »Was war passiert?«
    »Sie haben die Tätowierung gefunden.«
    »Seine K Z-Nummer ?«
    Sie lachte hohl. »Er war im KZ gewesen, aber nicht als Häftling.«
    Schwarz lief es eiskalt den Rücken hinunter. »Was war das für eine Tätowierung?«
    »Das Blutgruppenabzeichen der SS.« Sie deutete auf eine Stelle an der Innenseite ihres linken Oberarms direkt unter der Achselhöhle. »Hier, ein B, ich habe es mir selbst angeschaut. Begreifst du, was das für uns bedeutet hat? Wir wussten ja, dass wir von Menschen umzingelt sind, die bis vor Kurzem stramme Nazis gewesen waren und fast alle von der Vernichtung profitiert hatten. Aber in unserem Lager fühlten wir uns sicher, es war wie eine Insel. Da stellte sich plötzlich heraus, dass mitten unter uns ein Mörder gelebt hatte. Und der Bademeister war vielleicht nicht der Einzige, der sich so zu verstecken versuchte.«
    Schwarz fühlte eine große Dankbarkeit, dass seine Mutter ihm diese Geschichte anvertraut hatte. Er griff nach ihrer Hand, aber sie entzog sie ihm.
    Sie war noch nicht fertig. »Ich wollte mich in Sicherheit bringen, verstehst du? Mir ist nichts Besseres eingefallen, als dazu in die Rolle der Egerländerin zu schlüpfen.«
    Sie setzte das Glas an die Lippen und stellte fest, dass es leer war.
    »Noch Wasser, Mama?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe mich selbst zur Volksdeutschen ernannt, um endlich keine Angst mehr haben zu müssen. Jetzt weißt du es,

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