Pesthauch - Band 1 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
würde er sechs oder sieben Stunden unterwegs sein, denn auf den schlammigen Straßen kam ein Gaul kaum schneller voran als ein Fußgänger. Der Umschlag unter seiner Jacke enthielt den geheimen Bericht und musste unter allen Umständen so schnell wie möglich zu seinem Empfänger gebracht werden.
Wimmer mietete sich am Osttor ein Pferd und trabte in die Dunkelheit. Das Land war flach und nur von wenigen Bäumen bestanden und die Nacht war trotz Wolken und Regen recht hell. Vielleicht war Vollmond, dachte Wimmer und versuchte sich auf den Weg zu konzentrieren.
Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihn aus seinem dumpfen Dasein gerissen und ihm eine neue Aufgabe gezeigt. Vor zwei Tagen hatte er für ein paar Pfennige und freie Verpflegung Leichen von Pesttoten eingesammelt und jetzt saß er auf einem brauchbaren Gaul, gewaschen und in sauberen Sachen und mit hundert Gulden im Säckel! Der Doktor hatte ihm eine Aufgabe gestellt und ihn reichlich mit Reisegeld ausgestattet. Wimmer war stolz darauf, dass der Doktor ihm traute. Er hätte ja genauso gut einfach das Geld einstecken und auf Nimmerwiedersehen verschwinden können, wer hätte ihn finden können? Hundert Gulden waren ein verdammte Menge Geld! Mehr als ein Mann in drei Jahren verdiente!
Aber der Doktor hatte keine Zweifel aufkommen lassen, dass er sicher war, Wimmer würde treu seine Aufgabe erfüllen. Und genau das hatte er vor. Den alten Wimmer, den Lügner, Dieb und Betrüger, den sollte es nicht mehr geben! Er war jetzt Herr Jeremias Wimmer, reitender Bote des obersten Pestarztes Doktor Stanken!
Und er war unterwegs in einem geheimen Auftrag! Wimmer trieb das Pferd an, als er meinte, der Weg wäre nicht ganz so sumpfig. Er musste den Brief abliefern, bevor der Empfänger vielleicht nicht mehr erreichbar sein mochte. Das fürchtete Doktor Stanken nämlich. Er hatte diesen Brief an den ehemaligen General Courtyard adressiert, einen Briten, der in Diensten des Herzogs am Krieg teilgenommen hatte. Stanken hatte gehört, dass der Engländer zurück auf seine Insel reisen wolle, und es galt, ihm den Brief zuzustellen, bevor er zur Küste abreiste.
Wimmer kannte den Inhalt des Briefes, des geheimen Berichtes, ja schon, denn er war bei allen Untersuchungen dabei gewesen und er hatte aufmerksam zugehört. Wimmer war nicht sehr gebildet, doch dumm war er bei Weitem nicht. Das Meiste verstand er oder konnte es sich zusammenreimen und was er nicht begriff erklärte der alte Arzt ihm mit Freuden. Wimmer fand es aufregend, Teil einer Gespenstergeschichte zu sein. Das war etwas anderes als die kaputte Welt da draußen. Es war abenteuerlich!
Auf einer Kuppe verharrte Wimmer für einen Moment und warf einen Blick zurück in Richtung der Stadt. Ein roter, flackernder Schein lag über der Silhouette. War das schon der frühe Morgen?
Dann begriff er. Die Stadt brannte! Ein Schauer rann ihm den Rücken hinunter. Verfluchte Scheiße, da hatte er aber noch mal Schwein gehabt! Was mochte geschehen sein? War eines der Leichenfeuer außer Kontrolle geraten? Musste ja passieren, so, wie die Schergen mit dem Feuer umgegangen waren! Wohl nicht aufgepasst!
Wimmer starrte noch einen Moment auf den rotglimmenden Himmel, dann wendete er sein Pferd wieder und ritt weiter. Der Regen hatte etwas nachgelassen und er kam gut voran. Als der Morgen graute hatte er sein Ziel fast erreicht.
Drachenblut
Lange bevor er das Meer hören oder die erste Möwe sehen konnte, roch er den Ozean. Der salzige Duft zerstäubten Meerwassers lag in der feuchten Luft. Der Wind war auflandig, kam vom Meer her und trug den Geruch von Salzwasser und Fisch mit sich.
Der blasse Mann strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht und trieb sein Reittier den Vordeich hinauf. Oben ließ es sich einfacher reiten. Der Schimmel ging Schritt. Eile war nicht nötig.
Gegen Mittag würde er das Dorf erreichen, in dem sein Turm stand. Der Turm war der traurige Rest einer vormals stolzen Seefestung, aber der Blanke Hans hatte die Küstenlinie bei einer gewaltigen Sturmflut vor einigen Dutzend Jahren weit hinausgeschoben und nun lag das Dorf gut zwei Meilen landeinwärts und die Festung war verlassen worden. Nach und nach waren die Mauern eingestürzt, als sich niemand mehr um ihren Erhalt kümmerte. Leicht zu bekommendes Baumaterial für die Bauern der Gegend, und so wurde manches Hallenhaus und manche Kate auf Fundamenten aus Steinen der Festung gebaut. Nur der massive Turm war stehen geblieben. Vor ein paar Jahren war
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