Pestmond (German Edition)
entsetzlich sie ihm auch immer noch vorkommen mochte. Nicht einmal Abu Dun und er wären imstande gewesen, es ganz allein mit dieser Armee aufzunehmen.
Als hätte er diesen Gedanken laut ausgesprochen, wandte Hasan den Kopf und sah ihm einen Herzschlag lang in die Augen. Doch wenn er Triumph in seinem Blick erwartet hatte, so wurde er enttäuscht. Er sah nur Bitterkeit, aber auch einen so großen Schmerz, dass Andrej beinahe Mitleid mit ihm gehabt hätte.
Aber nur beinahe.
»Bitte etwas näher«, sagte Hasan. »Nur ein kleines Stück.«
Andrej fragte sich, ob Hasan überhaupt wusste, was er da verlangte. Vermutlich nicht. Die Pestmond war schon vorher in einem Zustand gewesen, den so mancher als nicht mehr seetüchtig bezeichnet hätte, und die Schlacht vergangene Nacht hatte ein Übriges getan. Dieses Wrack auch nur einigermaßen auf Kurs zu halten, verlangte die ganze Kunstfertigkeit selbst eines so fähigen Steuermannes, wie Abu Dun einer war, und mit der führerlosen Caravelle mitzuhalten war nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Abu Dun gab sein Bestes, aber er erreichte trotzdem kaum mehr, als dass sie neben der Caravelle herschlingerten.
Er tauschte einen fragenden Blick mit Andrej und wartete, bis dieser mit einem fast unmerklichen Nicken geantwortet hatte, bevor er sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen das Steuerrad stemmte, um den Abstand zwischen den beiden Schiffen noch einmal zu verkleinern. Unter den leblosen Gestalten hinter der Reling begann sich Unruhe breitzumachen, als sie die näher kommende Pestmond und das Leben auf ihrem Deck spürten. Bisher hatte Andrej noch keines der unheimlichen Geschöpfe den geringsten Laut von sich geben hören, doch nun erhob sich ein allgemeines Stöhnen und Ächzen aus der Masse der Untoten, das Andrej ein neuerliches eisiges Frösteln über den Rücken laufen ließ.
Hände streckten sich ihnen entgegen, Münder wurden aufgerissen. Eine der unheimlichen Kreaturen versuchte in ihrer Gier gar über die Reling zu steigen – doch nur, um schon auf halbem Wege den Halt zu verlieren und über Bord ins Wasser zu fallen, wo sie wie ein Stein versank.
»Das ist nahe genug.« Hasan nickte Ali zu, der wiederum die Hand hob. Ein Assassine holte aus und schleuderte eine der Brandbomben, die ihr Ziel aber verfehlte. Flüssiges Feuer lief an der Flanke der Caravelle hinab und erlosch zischend und weiß qualmend, wo es das Wasser berührte und nur wenig später auch weiter oberhalb, denn es gelang den Flammen nicht, das Holz des Schiffsrumpfes in Brand zu setzen.
»Der Alte vom Berge, wie?«, spöttelte Abu Dun.
Alis Reaktion war vorhersehbar, doch Hasan wies ihn mit einer raschen Geste an zu schweigen und warf Abu Dun einen fragenden Blick zu. »Willst du mir irgendetwas sagen, mein Freund?«
»Och, nichts.« Abu Dun kurbelte am Steuer, und die Pestmond schwenkte um eine Winzigkeit näher an das andere Schiff heran. »Ich wundere mich bloß, das ist alles.«
»Und jetzt möchtest du, dass ich dich frage, worüber.«
Die nächste Brandbombe wurde geschleudert. Diesmal traf das Geschoss tatsächlich eine der stöhnenden Gestalten und setzte sie mit einem prasselnden Schlag in Brand. Zwei, drei Atemzüge lang stand die bedauernswerte Kreatur lodernd da, dann kippte sie nach vorne über die Reling und trieb noch einen Moment brennend im Wasser, bevor sie ebenfalls versank. Als wäre nichts geschehen, drehte sich Hasan wieder zu Abu Dun um und fuhr fort: »Dann sollte ich dir wohl den Gefallen tun und dich fragen, worüber du dich wunderst.«
»Griechisches Feuer«, antwortete Abu Dun.
Hasan zog fragend die Augenbrauen zusammen.
»Um ein Schiff auf hoher See zuverlässig anzustecken gibt es nichts Besseres als griechisches Feuer«, sagte Abu Dun. »Du weißt schon: Dieses Zeug, das umso heißer brennt, je mehr Wasser man hineinschüttet. Manche behaupten ja, dass die Assassinen es erfunden hätten. Ich persönlich glaube das nicht, aber ich bin trotzdem sehr sicher, dass der Alte vom Berge es zumindest gekannt hätte.«
»Ich verstehe. Und jetzt glaubst du, ich wäre nicht der, für den ich mich ausgebe«, sagte Hasan nachdenklich, »weil Kasim nicht die notwendigen Chemikalien hat, um eines der größten Geheimnisse der Geschichte auf hoher See in ein paar Stunden nachzubauen.« Der Gedanke schien ihn ehrlich zu amüsieren. »Dein Misstrauen ehrt dich, mein Freund. Und es zeigt mir, dass ich die richtige Wahl getroffen habe.«
Abu Dun starrte ihn finster an und
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