Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Handgelenk auf ein Mehrfaches seiner ursprünglichen Länge auseinanderschnappen ließ.
    »Alis Fernglas?«
    Abu Dun setzte das Instrument ans rechte Auge, kniff das andere zu und schwenkte das Glas, bis die polierte Linse direkt auf Andrejs Gesicht gerichtet war – mit kaum einer Handspanne Entfernung. Ganz wie Andrej es erwartete, schauspielerte er ein hoffnungslos übertriebenes Zusammenfahren und ließ das Glas hastig sinken, schob es aber nicht wieder zusammen und steckte es schon gar nicht ein. »Ein hervorragendes Teil«, lobte er. »Ich bin ja sonst kein Freund von solch neumodischem Schnickschnack, aber diese Spionage-Gläser sind wirklich eine nützliche Erfindung.«
    »Ferngläser«, verbesserte ihn Andrej. »Hat Ali es dir geliehen?«
    »Das hätte er gewiss«, sagte Abu Dun.
    »Wenn du ihn gefragt hättest.«
    »Ich gebe es ihm zurück«, versicherte Abu Dun, »sobald ich es nicht mehr brauche. Oder etwas Besseres erfunden worden ist.«
    Er setzte das Glas erneut an, drehte sich einmal komplett im Kreis und ließ es dann enttäuscht wieder sinken. »Was nutzt einem das beste Glas, wenn überall Felsen und Schiffe im Weg stehen?«, maulte er. »Ich brauche einen besseren Aussichtspunkt.«
    Er drehte sich noch einmal, diesmal langsamer um die eigene Achse und hielt schließlich an, um nachdenklich zum Dorf zurückzusehen; besser gesagt den mit dichtem Gras bewachsenen Hügeln, die das Schmugglernest an der landwärtigen Seite einrahmten. »Das da oben sieht gut aus.«
    »Wofür?«, fragte Andrej. »Und sag jetzt nicht, du willst nur die schöne Aussicht genießen.«
    Abu Dun wedelte einladend mit dem Glas. »Das weiß ich erst, wenn ich sie gesehen habe, oder? Kommst du mit?«
    »Ich hasse Spaziergänge«, antwortete Andrej. »Und ich glaube nicht, dass unsere Gastgeber es schätzen, wenn wir ihre Geheimnisse auskundschaften.«
    »Du meinst, sie könnten eingeschnappt sein und uns am Ende sogar noch ihre Gastfreundschaft aufkündigen?«, feixte Abu Dun. »Uns gar hinauswerfen? Also, das Risiko gehe ich ein.«
    Andrej gefiel die Idee immer weniger, aber ihm fiel auch kein wirkliches Argument mehr ein, um Abu Dun von diesem Vorhaben abzubringen; und wahrscheinlich war es auch besser, wenn er ihn begleitete. Darüber hinaus war es eine gute Gelegenheit, nach Ayla zu sehen.
    Das Dorf zu durchqueren dauerte nur wenige Augenblicke, schließlich bestand es bloß aus einer Handvoll ärmlicher Hütten und verdiente diesen Namen nicht einmal wirklich. Selbst die Straße verlor sich auf halbem Wege den Hügel hinauf im Gras und wurde lediglich aus zwei Fahrspuren im weichen Boden fortgesetzt, denen man ansah, dass sie nicht oft benutzt wurden.
    Andrej war nun doch ein bisschen besorgt. Er hatte seine eigenen Worte gerade für nur so dahingesagt gehalten, aber möglicherweise war er der Wahrheit damit näher gekommen, als gut war. Wohin er auch sah, erblickte er nur dichten Wald oder wadenhohes unberührtes Gras. Der Ort lag gut versteckt da, nahezu perfekt. Und ganz gewiss nicht durch Zufall.
    »Ja, das sieht mir tatsächlich nach einem wirklich schlimmen Unwetter aus«, spottete Abu Dun. »Das schlimmste, das ich jemals nicht erlebt habe.« Er wandte sich nach Osten, um auf den Ozean hinunterzusehen, der so glatt und makellos wie ein Spiegel unter ihnen dalag. Am Himmel war noch immer keine einzige Wolke zu sehen, und man konnte beinahe riechen, wie schwer und vollkommen unbewegt die Luft war – aber auch, dass es sich eben nicht um die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm handelte.
    Nicht einmal Abu Dun und er mit ihrer an Zauberei grenzenden Sinnesschärfe vermochten das Wetter immer mit vollkommener Sicherheit vorauszusagen, aber nach gut drei Jahrhunderten bekam man schon eine gewisse Erfahrung.
    Es würde keinen Sturm geben. Und Don Corleanis wusste das auch.
    »Dachte ich’s mir doch«, sagte Abu Dun zufrieden.
    »Was?«, fragte Andrej.
    Selbstredend bekam er keine direkte Antwort (er hatte auch nicht damit gerechnet), und Abu Dun reichte ihm nur schweigend das Glas und deutete nach Osten. Andrej blickte gehorsam hindurch. Der Horizont schien ihn regelrecht anzuspringen und war nun um einiges näher, wenn auch ganz leicht verzerrt.
    »Ich sehe nichts.«
    »Dann versuch es ohne das Glas.« Abu Dun wartete, bis er das Fernrohr abgesetzt und ein paarmal geblinzelt hatte, um seine Augen neu zu fokussieren, bevor er in ganz leicht triumphierendem Ton fortfuhr. »Vielleicht siehst du dann das Schiff, das sich

Weitere Kostenlose Bücher