Peter Hoeg
Vergoldung und die cremefarbenen Türfüllungen der Toreinfahrt wiederholen sich im Treppenhaus und an den Türen. Gravierte Messingschilder. Das Schild vor uns ist über einem doppeltbreiten Briefschlitz angebracht. Damit auch die größten Schecks durchgehen. ›Anwaltsbüro‹ steht auf dem Schild. Selbstverständlich. ›Anwaltsbüro Hammer und Ving‹. Die Tür ist nicht verschlossen, wir treten also ein. Wir und das Gestell.
Wir kommen in eine große Diele. Eine offene Tür führt zu einer Reihe von Büros, die hintereinander liegen wie die Empfangszimmer auf den Fotografien von Schloß Amalienborg. Hier hängen denn auch prompt Fotografien von der Königin und dem Prinzen. Spiegelblanke Parkettböden, goldgerahmte Gemälde und die vornehmsten Büromöbel, die ich je gesehen habe. Und der gleiche Duft wie im Treppenhaus, und jetzt erkenne ich ihn. Es ist der Duft von Geld. Weit und breit keine Menschenseele. Ich nehme einen Scheuerlappen und wringe ihn aus, der Mechaniker nimmt einen großen Schwabber.
Nach den Büros kommt eine geschlossene Doppeltür. Dort klopfe ich an. Er muß ein Kontrollpult haben, denn als die Tür aufgeht, sitzt er am entgegengesetzten Ende des Raumes, in einem Büro mit Fenster zum Hof.
Er sitzt hinter einem Schreibtisch aus schwarzem Mahagoni, der auf vier Löwenfüßen steht und so mächtig aussieht, daß sich unwillkürlich die Frage aufdrängt, wie sie ihn wohl hier hochbekommen haben. An der Wand dahinter hängen in schweren Rahmen drei düstere Gemälde der Marmorbrücke.
Sein Alter ist schwer zu beurteilen. Von Elsa Lübing weiß ich, daß er über siebzig sein muß. Aber er sieht gesund und athletisch aus. Als ob er jeden Morgen auf seinem Strandgrundstück barfuß hinunter zum Meer läuft, ein Loch in das Eis hackt und ein erfrischendes Bad nimmt, dann zurückläuft und ein Schälchen Gladiatorenmüsli mit Magermilch ißt. Das hat seine Haut glatt und rosig gehalten. Seinem Haarwuchs ist das allerdings nicht bekommen. Er hat eine spiegelblanke Glatze.
Er trägt eine Goldrandbrille mit so vielen Reflexen, daß man seine Augen nie richtig sieht.
»Guten Morgen«, sage ich. »Ich bin von der Qualitätskontrolle. Wir kontrollieren die Morgenputzkolonne.« Er sagt nichts, sieht uns nur an. Ich erinnere mich an seine trockene und korrekte Stimme von einem lange zurückliegenden Telefongespräch her so deutlich, als hätte er in diesem Moment gesprochen. Der Mechaniker verzieht sich in eine Ecke und fängt an zu schwabbern. Ich nehme das dem Schreibtisch am nächsten gelegene Fensterbrett.
Er schaut in seine Papiere. Ich trockne das Fensterbrett mit dem Lappen, der eine streifige Dreckwasserspur hinterläßt.
Bald wird er anfangen sich zu wundern.
»Ist schon schön, wenn ordentlich saubergemacht wird«, sage ich.
Sein Gesicht verzieht sich und wirkt jetzt etwas irritiert.
Neben dem Fenster hängt das Bild eines Segelschiffes. Ich nehme es ab und staube es auf der Rückseite mit dem Lappen ab.
»Ein schönes Bild, das hier«, sage ich. »Ich interessiere mich sogar für Schiffe. Wenn ich nach einem langen Tag in Gummihandschuhen und zwischen Desinfektionsmitteln nach Hause komme, lege ich die Beine hoch und blättere in einem guten Buch über Schiffe.«
Jetzt überlegt er, ob ich vielleicht unzurechnungsfähig bin.
»Wir haben ja alle unsere Lieblinge. Meine sind die Grönlandschiffe. Und wie es der Zufall will: Als ich Ihren Namen auf dem vornehmen Türschild sehe, sage ich mir: Himmel, Smilla, sage ich. Ving! Dieser feine Mann hat einmal einem deiner Freunde zu Weihnachten ein Modellschiff geschenkt. Die gute Johannes Thomsen. Einem kleinen grönländischen Jungen.«
Ich hänge das Bild wieder auf. Das Wasser ist ihm nicht bekommen. Jedes Putzen hat seinen Preis. Ich denke an Juliane vor ihm auf den Knien, an der Tür.
»Worüber ich auch nicht genug lesen kann, das sind Schiffe, die man für grönländische Expeditionen gechartert hat.«
Jetzt sitzt er vollkommen still da. Nur die Reflexe der Brillengläser spielen schwach.
»Zum Beispiel die beiden Schiffe, die '66 und '91 gechartert wurden. Für die beiden Expeditionen nach Gela Alta.«
Ich gehe zum Gestell und wringe den Lappen aus.
»So, nun hoffe ich, daß Sie zufrieden sind«, sage ich. »Wir müssen weiter. Die Arbeit ruft.«
Als wir hinausgehen, können wir durch die lange Flucht der Räume bis in sein Büro zurückschauen. Er sitzt hinter dem Schreibtisch und hat sich nicht gerührt.
Auf der Treppe
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