Peter Hoeg
Forschung betrieben. Ein Aufsatz beschreibt die Untersuchung dänischer Moorleichen. Und dann drei Titel, die ich ankreuze. Sie handeln von Röntgenuntersuchungen an Mumien. Die eine wurde in den siebziger Jahren in Berlin im Pergamonmuseum an Mumien Tutenchamuns Grab gemacht. Bei der zweiten geht es um präbuddhistische Balsamierung in Malaysia und Thailand; die Arbeit wurde von einem Museum in Singapur veröffentlicht. Bei dem dritten Aufsatz handelt es sich um eine Beschreibung der grönländischen Qilakitsoqmumien.
An das Ende der Liste schreibe ich: ›Mit Dank zurück – Smilla‹, stecke sie in einen Umschlag und adressiere ihn an meinen Vater: Dann sehe ich die Zeitungsausschnitte durch.
Es sind achtzehn, und sie liegen in chronologischer Reihenfolge. Ich fange von oben an. Ein Artikel vom Oktober vermerkt daß die Vorbereitungen zur Etablierung einer gerichtsmedizinischen Instanz für Grönland unter der Leitung von Professor Dr. med. Johannes Loyen jetzt fast abgeschlossen sind. Der nächste ist ein Jahr älter. Es ist eine Fotografie mit einem kurzen Text. ›Der ethische Rat bei seiner Konferenz in Godthåb‹. In Kamiken und Pelzmützen. Loyen ist der zweite von links. Er ragt genauso weit heraus wie diejenigen, die hinter ihm auf den Treppenstufen stehen. Der dritte Artikel meldet seinen siebzigsten Geburtstag im letzten Jahr und berichtet, daß man sein Arbeitsverhältnis aufgrund seiner Arbeit an einer Staatsobduzentur für Grönland außerplanmäßig verlängert habe. So geht es rückwärts weiter, ›Herzliche Glückwünsche zum sechzigsten Geburtstag für Professor Loyen‹, ›Professor Loyen hält Vorlesungen an Grönlands neu eröffneter Universität‹, ›Vertreter des staatlichen Gesundheitsamts auf Grönland, von links der Kopenhagener Amtsarzt, danach Chefarzt J. Loyen, Leiter des neu errichteten Instituts für arktische Medizin‹. Und so weiter durch die siebziger und sechziger Jahre. Die Expeditionen von 1991 und 1966 sind nicht erwähnt.
Der vorletzte Ausschnitt stammt von 1949. Es ist ein kleines Stück Verbalprostitution. Eine begeisterte Beschreibung der neuen Dumpters der Kryolithgesellschaft Dänemark, die den Erztransport aus den tieferen Flözen der Mine an die Oberfläche erleichtert haben. Eine warmherzige Huldigung an Direktor und Konferenzrat Ebel und Gattin, die im Vordergrund zu sehen sind. Dahinter stehen Oberingenieur Dr. techn. Wilhelm Ottensen und der medizinische Berater der Gesellschaft, Dr. Johannes Loyen. Die Aufnahme wurde in dem Moment gemacht, als die neue Maschine in der Mine von Saqqaq die erste Ladung nach oben bringt.
Nach diesem Bildartikel kommt eine Lücke von zehn Jahren. Der letzte Ausschnitt stammt vom Mai 1939.
Es ist ein Foto mit Text. Das Bild wurde in einem Hafen aufgenommen. Im Hintergrund liegt ein dunkles Schiff. Im Vordergrund steht ein Dutzend Leute, die Herren in hellen Anzügen, die Damen in langen Röcken und leichten Staubmänteln. Die Szene macht einen gestellten Eindruck. Der Text ist kurz. ›Die mutige und erwartungsvolle Gesellschaft der Freia-Film bei ihrer Abreise nach Grönland‹. Es folgt eine Liste der mutigen und erwartungsvollen Gesellschaft. Sie besteht aus Schauspielern und einem Regisseur. Und aus dem Arzt des Filmteams und dessen Assistenten. Der Arzt heißt Rovsing. Der Name des Assistenten wird nicht erwähnt. Assistenten haben in der konservativen Presse der dreißiger Jahre keine Namen. Doch sein späteres Schicksal hat auch dieses Foto in einem Archiv festgehalten und irgend jemanden seinen Namen mit Kugelschreiber hinzufügen lassen. Er ist auf dem Bild deutlich sichtbar. Größer als alle anderen. Und trotz seiner Jugend, seiner untergeordneten Stellung und seinem Platz hinter all den Exzentrikern, die sich der Kamera anbiedern, ist seine Arroganz schon damals deutlich sichtbar. Es ist Loyen. Ich falte den Ausschnitt zusammen.
Nach dem Frühstück ziehe ich einen langen Wildledermantel an und setze Jane Eberleins Pelzmütze auf. Der Mantel hat tiefe Innentaschen. Darin versenke ich den letzten zusammengefalteten Ausschnitt, ein Bündel Geldscheine, Jesajas Band und den Brief an meinen Vater. Dann mache ich mich auf. Der Tag hat angefangen.
Bei der Prontaprint in der Torvegade lasse ich von dem Band eine Kopie machen. Ich leihe mir auch ihr Telefonbuch aus. Das Institut für Eskimologie liegt in der Fiolstræde. Ich rufe aus einer Telefonzelle am Markt an und werde zu einem Dozenten durchgestellt, der so
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