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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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steht eine weißbekittelte Frau im mittleren Alter. Mit traurigen Augen streichelt sie ihren Staubsauger. Als hätte sie mit ihm darüber geredet, wie sie in dieser großen Welt nun ohne das Eimergestell zurechtkommen sollen.
    Der Mechaniker stellt es vor ihr ab. Es ist ihm nicht ganz recht, daß er jemandem das Werkzeug weggenommen hat. Er möchte gern ein paar Worte sagen, von Handwerker zu Handwerker. Doch es fällt ihm nichts ein.
    »Wir sind von der Firma«, sage ich. »Wir haben Ihre Arbeit kontrolliert. Wir sind sehr, sehr zufrieden.«
    In der Tasche finde ich einen von Moritz' knisternden neuen Hundertkronenscheinen und lasse ihn auf dem Eimerrand balancieren.
    »Wenn Sie diese Qualifikationszulage annehmen würden. An diesem schönen Morgen. Für einen Kopenhagener zu Ihrem Kaffee.«
    Sie sieht mich melancholisch an.
    »Ich bin die Chefin«, sagt sie. »Wir sind ja nur fünf, ich und vier Mitarbeiter.«
    Einen Augenblick lang schauen wir uns alle drei an.
    »Na und«, sage ich. »Auch Chefs essen ja wohl Kopenhagener zum Kaffee.«
     
    Wir setzen uns ins Auto, bleiben eine Zeitlang sitzen und schauen auf den Kongens Nytorv. Für ein gemeinsames Frühstück ist es inzwischen zu spät. Wir verabreden uns für später. Jetzt, wo die Spannung vorbei ist, reden wir miteinander wie Fremde. Als ich ausgestiegen bin, kurbelt er das Fenster herunter.
    »Smilla. War das auch klug?«
    »Das war spontan. – Und außerdem: Bist du je auf der Jagd gewesen?«
    »Ein bißchen.«
    »Wenn man scheues Wild jagt, wie beispielsweise Rene, läßt man sich manchmal mit Absicht sehen. Man steht auf und fuchtelt mit dem Gewehrkolben herum. Bei allen Lebewesen sitzen Furcht und Neugierde fast genau an der gleichen Stelle. Das Tier kommt näher. Es weiß, das ist gefährlich, aber es muß nachsehen, was sich da bewegt.«
    »Was hast du gemacht, wenn es dicht herankam?«
    »Nichts weiter – ich habe nie schießen können. Aber vielleicht hat man Glück und jemanden in der Nähe, der weiß, was man tun muß.«
     
    Ich gehe über die Knippelsbrücke nach Hause. Es ist acht Uhr, der Tag hat kaum angefangen. Ich habe das Gefühl, genausoviel geschafft zu haben wie ein Zeitungsbote.
    Auf dem Fußboden wartet ein Brief auf mich. Ein länglicher Umschlag aus schwerem Büttenpapier. Er ist von meinem Vater. Ein gefütterter Umschlag von den Vereinten Papierfabriken mit seinen Initialen in Prägedruck. Seine Handschrift sieht aus, als hätte er einen Kurs für kalligraphische Angeberei absolviert. Hat er auch. Das war, als ich bei ihm wohnte. Nach zwei Kursabenden hatte er seine alte Handschrift vergessen. Und die neue noch nicht gelernt. Drei Monate lang schrieb er wie ein Kind. Auf den Rechnungen, die er verschickte, mußte ich seine Handschrift nachmachen. Er hatte Angst, seine Patienten könnten beim Anblick der wackligen Signatur des großen Medizinmanns einen Rückfall erleiden. Inzwischen hat er sie besser unter Kontrolle. Die Welt bewundert sie, für mich ist sie nur großkotzig.
    Doch der Brief ist durchaus freundlich. Er besteht nur aus einer Zeile auf einem Blatt Papier mit Wasserzeichen, das, wie ich weiß, pro Blatt fünf Kronen kostet, und aus einem Bündel fotokopierter Zeitungsausschnitte, das von einer Büroklammer zusammengehalten wird.
    ›Liebe Smilla‹, steht da, ›das ist alles, was das Archiv der Berlingske Tidende über Loyen und Grönland hatte.‹
    Dann noch ein Blatt.
    In Moritz' Handschrift: ›Eine vollständige Liste seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen‹. Die Liste selbst ist maschinenschriftlich.
    Unten steht, daß die Auskünfte einem Ding folgen, das Index Medicus heißt, und über eine Stockholmer Datenbank abgerufen worden sind. Aufsätze in vier Fremdsprachen, eine davon Russisch. Das meiste ist auf englisch. Von der Hälfte verstehe ich nicht einmal die Titel. Aber Moritz hat am Rand eine kurze Erklärung hinzugefügt. Es gibt Aufsätze über ›crash injuries‹. Über Toxikologie. Einen mit einem Koautor geschriebenen Aufsatz über Störungen der Vitamin-B-12-Aufnahme aus dem Magen als Folge der Nachwirkungen von Schußwunden. Diese Aufsätze stammen aus den vierziger und fünfziger Jahren. Von den Sechzigern an handeln sie von arktischer Medizin. Trichinose, Erfrierungen. Ein Buch über Grippeepidemien um die Barentssee. Eine lange Reihe kurzer Aufsätze über Parasiten. Mehrere über den Einsatz von Röntgenstrahlen. Er hat vielseitig gearbeitet.
    Anscheinend hat er mehrmals historische

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