Peter Hoeg
und dahinter eine Treppe ins Dunkle hinunter.
Am Ende der Treppe steht ein Mann. Er lehnt sich an einen Spieß, und er rührt sich nicht. Auch nicht, als ich dicht vor ihm bin.
Der Raum muß mehrere Oberlichter haben, die noch abgedeckt sind. Doch an den Rändern der Abdeckung fallen schmale weiße Lichtstreifen ein, Licht genug, daß ich sehen kann, daß der Raum saalgroß ist. Alle Querwände sind herausgerissen worden, um einen Unterdeckraum zu schaffen, der etwa fünfundzwanzig Meter lang und so breit wie das Schiff ist.
Jetzt ist es so hell, daß ich sehe, daß der Mann vor mir ein Eskimo ist. Er stützt sich auf eine lange Harpune. In der linken Hand hat er sein Wurfholz. Er ist nur halb angezogen, trägt hohe Kamiken, einen Innenpelz aus Vogelhaut und ist nicht sehr viel größer als ich. Ich klopfe ihm auf die Wange. Er ist aus hohler gegossener Glasfaser, die man hinterher gekonnt angestrichen hat. Sein Gesicht ist geistesgegenwärtig.
»Naturgetreu, nicht wahr?«
Die Stimme ist irgendwo hinter einem Schirm. Auf dem Weg dorthin muß ich um einen Kajak, der noch teilweise eingepackt ist, und eine Glasvitrine herum, die auf der Seite liegt wie ein ausgeleertes Dreitausendliteraquarium. Der Schirm ist ein zwischen zwei Walbarten ausgespanntes Fell. Dahinter steht ein Schreibtisch. Hinter dem Schreibtisch sitzt ein Mann. Er steht auf, und ich ergreife die ausgestreckte Hand. Er sieht der Puppe zum Verwechseln ähnlich, ist jedoch dreißig Jahre älter. Er hat kräftige Haare und eine Pagenfrisur, aber die Haare sind grau. Seine Herkunft ist die gleiche wie meine. Irgendwie grönländisch.
»Kurator?«
»Bin ich.«
Sein Dänisch ist akzentfrei. Er macht eine Handbewegung.
»Wir stellen gerade die Sammlungen auf. Kostet ein Vermögen.«
Ich lege ihm das Band vor. Er befühlt es vorsichtig.
»Ich versuche den Sprecher zu identifizieren. Ich habe Sie über einen Telefonanruf beim Institut für Eskimologie ausfindig gemacht.«
Er lächelt zufrieden.
»Die mündliche Empfehlung ist die beste Reklame. Und die weitaus billigste. Wissen Sie, was eine Anzeige kostet?«
»Nur bei Kontaktanzeigen.«
»Ist das teuer?«
Er ist ehrlich interessiert. An ihm ist jeglicher Humor verschwendet.
»Sehr.«
Er nickt.
»Das ist grauenhaft. Überall wird einem das Fell über die Ohren gezogen. Zeitungen, Finanzamt, Zoll . . .«
Es kommt mir vor, als hätte ich ihn schon einmal gesehen. Dieses Gefühl fügen mir Gesichter und Orte immer öfter zu. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, daß ich allmählich zu viel gesehen habe, daß die Welt anfängt sich zu wiederholen, oder ob das nur am frühzeitigen Verschleiß des mentalen Apparats liegt.
Vor ihm auf dem Tisch steht ein flacher, mattschwarzer, quadratischer Kassettenrecorder. Er legt das Band ein. Der Ton kommt von weit her aus Lautsprechern irgendwo an den Rändern des Raumes. Jetzt, wo sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, spüre ich, daß sich die Wände wölben, wo sie der Schiffsseite folgen.
Er hat das Gesicht in den Händen und hört eine halbe Minute lang zu. Dann hält er das Band an.
»Mitte Vierzig. Um Angmagsalik herum aufgewachsen. Nur sehr geringe Schulbildung. Auf ostgrönländischem Fundament eine Spur nördlicherer Dialekte. Aber da oben ziehen sie zuviel herum, als daß man sagen könnte, welche. Wahrscheinlich ist er nie längere Zeit aus Grönland weggewesen.«
Er sieht mich mit hellgrauen, fast milchigen Augen mit einem Ausdruck an, als warte er auf etwas. Plötzlich weiß ich, was es ist. Der Beifall nach dem ersten Akt.
»Beeindruckend«, sage ich. »Läßt sich noch mehr sagen?«
»Er beschreibt eine Reise. Übers Eis. Mit Zugschlitten. Wahrscheinlich ist er Robbenfänger, denn er benutzt eine Reihe von Fachausdrücken, wie zum Beispiel anut für die Hunderiemen. Wahrscheinlich spricht er zu einem Europäer. Für die Lokalitäten benutzt er englische Bezeichnungen. Und mehrere Dinge meint er wiederholen zu müssen.«
Er hat sich das Band nur ganz kurz angehört. Ich überlege mir, ob er mich zum Narren hält.
»Sie mißtrauen mir«, sagt er kalt.
»Ich wundere mich nur darüber, daß man aus so wenig so viel erschließen kann.«
»Die Sprache ist ein Hologramm.«
Er sagt das langsam und nachdrücklich.
»In jeder Äußerung eines Menschen liegt die Summe seiner sprachlichen Vergangenheit. Nehmen Sie doch nur sich selbst . . . Sie sind Mitte Dreißig. In Thule oder nördlich davon aufgewachsen. Ein Elternteil oder beide
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