Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
brachte die Flocken zum Glitzern und tauchte den gesamten Raum in eine leise, aber eiskalt dunkelblaue Atmosphäre. In jeder anderen Situation hätte Hogart den Anblick als idyllisch empfunden, wie eine romantisch-düstere Traumkulisse - doch ein gequältes Stöhnen holte ihn in die Realität zurück.
Es stammte von Vesely. Der alte Mann befand sich - umflossen vom gedämpften Mondlicht - in der Mitte der Halle. Er lag wie ein lebendiges Stück Arbeitsmaterial rücklings auf einer Werkbank. Über seine Brust spannten sich massive Kettenglieder. Auch seine Hände und Füße waren angekettet. Nur sein Kopf besaß noch eine geringfügige Bewegungsfreiheit. Veselys Hemd war aufgerissen, der Stoff blutgetränkt. Als Hogart näher kam, sah er, dass seine magere Brust blutige Schnitte trug: LA - für den geschlagenen weißen Läufer. Mit ersterbender Kraft drehte Vesely den Kopf und sah Hogart entgegen. In seinem Mund steckte ein Lederknebel.
»So nehmt ihm doch den Knebel raus!«, herrschte Hogart Ivona an.
»Wir mussten zuerst sicherstellen, dass Micha nicht in der Nähe ist.« Ivona trat seitlich an den alten Mann heran, um ihn von dem würgenden Knebel zu befreien. Der Stofflumpen, der tief in seinem Rachen steckte, war von Blut getränkt. Sogleich wandte Vesely den Kopf zur Seite und erbrach sich. Ein Wunder, dass er nicht erstickt war.
Es dauerte quälend lange, bis Vesely wieder zu Atem kam, und noch länger, bis er sich verständlich machen konnte.
»Wie geht es meiner Frau?«, röchelte er.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Sie hält die Beamten des Reviers auf Trab.« Ivona prüfte die Ketten, die ihn festhielten. »Zunächst müssen wir Sie von hier fortschaffen.«
Hogart ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die riesige automatische Werkbank gleiten. An deren Ende glänzte der braunfleckige Stahl eines großen runden scharf gezackten Sägeblattes auf. Dahinter erfasste der Lichtkegel den Motor der Säge und einen versperrten Schaltschrank, in den Drähte und ein Starkstromkabel mündeten. Eine grüne Lampe zeigte die Bereitschaft der Kreissäge an. Verzweifelt suchte Hogart nach einem Ausschalter, konnte aber keinen finden. Darauf ging er in die Hocke und spähte unter die Arbeitsplatte, auf der Vesely lag. Die Ketten, die sich um Veselys Oberkörper und seine Hüften spannten, verschwanden in den Offnungen des Rolltisches und verliefen quer darunter. Auf dem Betonboden klebte das eingetrocknete Blut der früheren Opfer. Sobald sich der elektronisch gesteuerte Rolltisch in Bewegung setzen würde, führte er unweigerlich in das Kreissägeblatt. Dessen Durchtrittsöffnung lag knapp unterhalb von Veselys Kinn. Der rotierende Stahl würde durch den Kehlkopf eindringen und den Hals durchtrennen. Falls es ihnen gelang, wenigstens eine der Ketten zu entfernen, konnte sich Vesely zumindest aufsetzen.
Hogart erhob sich. »Wir dürfen keine Zeit vergeuden. Ein oder zwei gut gezielte Schüsse auf die Kette sollten genügen.« Er sah Vesely ins angstvolle Gesicht. »Ivona macht das.«
Ivona nickte. »Zur Seite!«
Sie richtete den Lauf der Waffe auf eines der Eisenglieder, die unterhalb von Veselys Körper auf dem Stahl der Werkbank anlagen - und zog den Abzug durch. In der riesigen Halle klang der Schuss wie eine Explosion. Funken spritzten vom Metall ab, und Hogart hörte das kurze Kreischen des Querschlägers, der neben seinem rechten Fuß in den Betonboden fuhr. Benommen machte er einen Schritt zurück.
Indessen verhallte in der Kuppel das Echo des Schusses. Hogart sah auf - und erstarrte. In etwa fünfzehn Metern Entfernung erhob sich an der Rückwand der Halle das Malergerüst, wo hoch oben auf der letzten Ebene eine Gestalt stand. Sie trug einen zerschlissenen Mantel und eine Baseballkappe. Das Gesicht lag im Dunkel. Sogleich legte Hogart die Waffe an.
»Keine Bewegung!«, brüllte er auf Tschechisch. Sein Ausruf wurde dumpf von den Wänden zurückgeworfen.
Ondrej, Jiri und Ivona sahen ebenfalls auf. Die Gestalt bewegte sich nicht. Ihre rechte Hand hielt einen gelben Kasten von der Größe einer Schuhschachtel, der mit einem Kabel verbunden war. Eine Fernsteuerung, durchzuckte es Hogart.
Und sie ruhte in der rechten Hand.
»Antonin Lomeg, keine Bewegung!«
Das Echo seines Ausrufs war noch nicht verklungen, da holte er tief Luft und nahm Michas Oberarm ins Visier. In derselben Sekunde hob dieser die Fernbedienung hoch. Noch bevor Hogart zum Schuss kam, heulte neben ihm der Motor der Kreissäge auf.
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