Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
später flackerten entlang der Häuserzeile die Straßenlaternen auf. Plötzlich waren sie von surrender Elektrizität umgeben.
Hogart trat unter dem Dachvorsprung hervor und streckte das Kreuz durch. Das Warten, das lange Stehen und die Feuchtigkeit, die ihm durch die Kleider bis in die Knochen kroch, bescherten ihm seine gewohnten Rückenschmerzen.
»Vergessen wir es, er wird nicht kommen.« Er drehte den Kopf und blickte die Fußgängerzone hinauf und hinunter.
»Abwarten … noch ist es nicht sechs.« Ivona ging auf und ab, um sich warm zu halten. »Dort oben sehen Sie übrigens das Original jener Uhr, von der ich Ihnen erzählt habe.« Die Hände in den Taschen und den Zipp des Parkas bis zum Kinn zugezogen, deutete sie mit einem Nicken zur gegenüberliegenden Häuserfront.
Das gotische Eckhaus mit den Knorpelornamenten und den verwaschenen Ziegelsteinen sah aus, als gehörte es zu einer mittelalterlichen Burg. An der Front des Rathausturms prangte die gewaltige astronomische Uhr. Das merkwürdige Zifferblatt zeigte die Tierkreiszeichen und den Lauf von Sonne und Mond. Darunter befand sich eine nicht minder protzige Scheibe aus Gold: das Kalendarium. Alles wirkte mehr als kitschig, als hätten die Prager Alchimisten beweisen wollen, tatsächlich Metall in Gold verwandelt zu haben.
»Was für ein Zufall, dass wir uns ausgerechnet hier mit Greco treffen sollen«, sinnierte Hogart. »Wo doch sein Aupairmädchen ermordet auf dem Vitezneplatz unter der Nachbildung jener Uhr gefunden wurde.«
»Da ist er!«
Durch den Nieselregen schritt gemächlich eine Gestalt über den Platz auf sie zu. Vladimir Greco trug schwarze Lederhandschuhe und einen eng taillierten braunen Steppmantel, wodurch Brustkorb und Schultern des Mannes noch mächtiger wirkten. An der Hand führte er seine Tochter, deren blonde Zöpfe unter einer Strickmütze hervorschauten.
»Halo.« Ivona küsste Greco auf die Wange. Während sie sich bückte, um Anna die Hand zu reichen, standen sich Hogart und Greco für einen Augenblick wortlos gegenüber.
»Spricht Ihre Tochter Deutsch?«, fragte Hogart.
»Nein, wir können uns zwanglos unterhalten«, antwortete Greco mit seinem abgehackten Akzent. Er versprühte nicht gerade Freude darüber, Hogart wiederzusehen.
»Ich habe erst jetzt vom Tod Ihres Kindermädchens erfahren … Es tut mir leid«, sagte Hogart.
Greco überhörte es, als interessiere ihn Hogarts Anteilnahme nicht im«Geringsten. Stattdessen lenkte er Hogarts Aufmerksamkeit auf die Astronomische Uhr. »Dahinter steckt ein auf der ganzen Welt einmaliges Uhrwerk. Jede volle Stunde wird ein komplizierter Mechanismus in Bewegung gesetzt. In der winzigen Fensteröffnung ziehen die zwölf Jünger vorbei, gefolgt von Jesus Christus.«
Hogart wurde aus dem Mann nicht schlau. Greco hatte diesen Platz sicher nicht als Treffpunkt ausgewählt, um eine Anspielung auf Oktavians Ölgemälde von den zwölf Aposteln anzubringen.
»Als vorletzte Figur tritt Judas in Erscheinung - der Verräter …» Die beiden letzten Worte sprach Greco betont langsam. Hogart wusste, wie er die Anspielung verstehen sollte. Greco trat näher, um ihm den Arm um die Schulter zu legen.
Ivonas Augen weiteten sich. »Vladimir, ich bitte dich … tu es nicht!«
Greco brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Ich unterhalte mich nur mit deinem Freund. Wo waren wir stehen geblieben?« Er wandte sich wieder an Hogart. »Ah ja, der Verräter. Am Schluss der Vorführung kräht ein Hahn über den Aposteln. Auch Petrus beging dreimal Verrat an Jesus - eine schönes Sinnbild, nicht wahr?« Ohne den Arm wegzunehmen, ging Greco ein paar Schritte mit Hogart. »Eine Legende erzählt, dass Meister Hanus, der die Astronomische Uhr anfertigte, zunächst gefeiert wurde. Doch nach der Fertigstellung ließ man ihn mit einem glühenden Schwert blenden, damit er keinen Verrat begehen und eine zweite, ähnliche Konstruktion für eine andere Stadt erschaffen konnte.«
»Hören Sie, mir tut leid, was passiert ist…«, wiederholte Hogart.
»Sie haben keine Ahnung, was passiert ist«, zischte Greco gefährlich leise. Schlagartig war sein gespielt leutseliger Ton verschwunden. »Nachdem Sie mir die Kripo ins Haus geschickt haben, weil ich Sie angeblich erschießen lassen wollte, müsste ich Ihnen beide Beine brechen lassen.«
»Papa!« Anna sah ihren Vater entsetzt an.
»Dobra!«, beschwichtigte Greco sie. Mit ruhiger Stimme fuhr er fort. »Damit Sie es wissen - falls ich Sie tot
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