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Peter Hogart 1 - Schwarze Dame

Peter Hogart 1 - Schwarze Dame

Titel: Peter Hogart 1 - Schwarze Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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würdest du uns bitte allein lassen.«
    Der Angesprochene hielt in der Bewegung inne und hob den Kopf. Sein feines langes Haar fiel ihm über die Augen. Mit einer langsamen Handbewegung strich er sich die Strähnen aus der Stirn. Erst jetzt bemerkte Hogart die teure Stahlrahmenbrille mit den dicken Gläsern. Dahinter funkelten smaragdgrüne Augen, die regelrecht ins Nichts blickten. Irgendetwas zwang Hogart, ständig den jungen Mann anzustarren. Diese Brille! Er hatte sie erst vor wenigen Tagen gesehen.
    »Micha, bitte!«
    Widerwillig erhob sich der Junge. Er war eine Spur größer als sein Vater, hatte allerdings nicht dessen respekteinflößendes Auftreten, sondern wirkte eher schlaksig und verhuscht. Mit fast schon lächerlich femininen Bewegungen stakste er durch den Salon zur Tür.
    Als Hogart Michas auffälliges Hinken bemerkte, wusste er, dass sie sich schon einmal begegnet waren - und zwar in jener Nacht, als Ivonas Haus abbrannte. Aus dem Augenwinkel musterte er Michas Beine. Kein Gips, keine Schiene. Entsetzt starrte Hogart auf den schwarzen, beinahe quadratischen Lederklumpen, als hätte er soeben den Pferdefuß des Leibhaftigen erblickt. Höchstens Schuhnummer einunddreißig. Dieser verkrüppelte Fuß, möglicherweise ein Geburtsfehler, musste unendliche Schmerzen in der Wirbelsäule des Jungen auslösen. In Hogarts Fantasie trat der blutbesudelte Klumpfuß auf ein schwarzes Samttuch, wo er den oberen Teil eines Schuhabdrucks hinterließ. Hogart zwang sich, den Blick abzuwenden. Indessen verließ Micha wortlos den Raum.
    Ohne den Tonarm zurückzuführen, stellte Dr. Zajic den Plattenspieler mit einem Handgriff aus, sodass die Orchesterklänge mit einem gequälten Knarzen erstarben. Hogart hingegen besaß keinen Abstellknopf für die Musik; während er sich weiter im Salon umsah, spukte sie in seinem Kopf hartnäckig weiter. Auf dem Sofa lag die Schwarz-Weiß-Hülle der Schallplatte. Das Cover zeigte das Portrait eines Komponisten, im Hintergrund verschwommen ein Dutzend Geiger. Hogart stach der auf Deutsch verfasste Werbetext des vergilbten Aufklebers sofort ins Auge: Hans Landsbergers groß angelegte sinfonische Dichtung zu Paul Wegeners Golem.
    Dieser Golem schien ihn zu verfolgen!
    Zajic bemerkte Hogarts Interesse. »Mein Sohn liebt Stummfilme und hört ständig diese Symphonie.« Mit einer wegwerfenden Bewegung deutete er auf die Schallplattenhülle. »Wie es scheint, ist das seit dem Tod seiner Mutter zu seinem einzigen Zeitvertreib geworden.«
    »Micha dürfte so alt sein wie mein Sohn … einundzwanzig?«, schätzte Ivona.
    »Er ist dreiunddreißig, hat aber sein Lebtag noch nichts gearbeitet.«
    Hogart wurde hellhörig. Dieser Knabe mit dem blassen Gesicht war schon dreiunddreißig Jahre alt?
    »Seit ein paar Jahren jobbt er wenigstens ein paar Stunden als Teilzeitkraft in einem Studio.« Verachtung klang in Zajics Stimme mit. »Er gibt sich weibisch, möglich, dass er dadurch jünger erscheint.«
    Was für ein netter Vater! Hogart beobachtete Zajics Körpersprache. Die Hände des Doktors zitterten. Bestimmt lag der Haussegen nicht erst seit dem Tod der Mutter schief.
    Während sich Zajic an der Heimbar einen Cognac einschenkte, redete er weiter: »Micha ist nicht nur ein labiles und schwaches Kind, er ist auch krank. Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll. Er ist in Behandlung, aber seit Hanas Tod ist es schlimmer geworden.«
    Zajic reichte Hogart ein gerahmtes Foto von der Kommode. »Das ist sie …« Ehe seine Stimme brüchig wurde, trank er einen Schluck.
    Ivona warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild, das sie bestimmt schon kannte. Die Aufnahme zeigte eine attraktive, dezent geschminkte Frau mit einem blonden Pagenkopf und im cremefarbenen Blazer. Mit dem aufrechten stolzen Blick und dem gewinnenden Lächeln wirkte sie wie eine Grande Dame. Neben ihr standen zwei Jungen, bei einem davon handelte es sich um Micha. Der Knabe mit dem dünnen blonden Haar sah auf dem Bild wesentlich jünger aus als heute; Hogart schätzte das Alter der Aufnahme auf über zehn Jahre. Im Hintergrund des Bildes blühten die Heckenrosen - es war im sommerlichen Park der deutschen Botschaft geschossen worden. Der zweite Junge mit dem markanten Gesicht war älter und kräftiger als Micha; er trug eine braune Kordhose sowie ein kariertes Hemd mit aufgerollten Ärmeln. Beide Burschen sahen sichtlich angespannt in die Kamera.
    »Mein zweiter Sohn Roman ist leider missraten, ein Unruhestifter.« Zajic trank

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