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Peter Hogart 1 - Schwarze Dame

Peter Hogart 1 - Schwarze Dame

Titel: Peter Hogart 1 - Schwarze Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Pfeife zu stopfen. Er paffte mehrmals daran, bis ihn ein süßer Minzgeruch umgab. Während er auf den bleigrauen Fluss starrte, der Aste und Holzbohlen an ihnen vorbeitrug, begann er zu erzählen.
    »Im Morgengrauen des Jahres 1580 - so berichtet die Sage - traf sich Rabbi Low mit drei Männern im Prager Ghetto. Sie begaben sich zu einer Lehmgrube an der Moldau außerhalb der Stadt, um einen kabbalistischen Zauber zu wirken. Zunächst rührten sie einen Lehmbrei an, woraus sie eine zwei Meter hohe Figur formten, der sie menschliche Züge verliehen. Dann schritten der Rabbi und seine drei Helfer siebenmal gegen den Uhrzeigersinn um die Modellmasse herum, wobei sie geheime Beschwörungsformeln zitierten. Die Skulptur begann zu dampfen, zu qualmen. Sie wurde heiß, als sei sie einem Feuer ausgesetzt. Eine Glasur bildete sich als Schutzhaut. Die Tonfigur wurde feucht, Dämpfe strömten aus. Ihr entsprossen Haare und Fingernägel. Nachdem die Masse abgekühlt war, schob der Rabbi ein Pergamentröllchen in den Mund des Ungetüms, auf dem der Name Gottes geschrieben stand, den gläubige Juden niemals aussprechen dürfen. Das Gebilde begann, langsam die Finger zu bewegen. Nun sprachen Rabbi Low und seine Helfer zu Füßen des Monstrums den Satz aus der Schöpfungsgeschichte: Und Gott blies ihm den lebendigen Atem in die Nase, und der Mensch erwachte zum Leben. Da schlug das Geschöpf die Augen auf - und der Golem trat in die Welt!«
    Vesely starrte aufs Wasser. »Älteren Belegen zufolge wurde der Golem durch eine Buchstabenkombination belebt. Auf der Stirn des Golems stand der göttliche Name Jehovahs, die Buchstaben JHWH, die den künstlichen Menschen ins Leben riefen.«
    »Wie die in die Brust der Leichen geritzten Buchstaben, nur dass diese den Tod bringen«, bemerkte Ivona.
    Ein mit Kohlen beladener Schleppkahn zog an ihnen vorüber. Die Positionslichter leuchteten wie rot glühende Augen durch den Nebel. Eine Schilderung in dieser Detailfreude hätte sich Hogart bei Gott nicht erwartet. »Und wie geht die Geschichte weiter?«
    Vesely nickte. »Das hebräische Wort Golem findet sich bereits in den Psalmen des Alten Testaments, wo es eine seelenlose Materie, etwas Ungeformtes bezeichnet. Mit der Erschaffung eines Dieners aus Lehm wollten die Juden ihr Bildungsniveau und ihren hohen Wissensstand demonstrieren. Der Golem sollte das auserwählte Volk vor seinen Feinden beschützen.« Vesely paffte an seiner Pfeife. »Als alle Juden auf einen kaiserlichen Befehl hin Prag verlassen sollten, gewährte der Kaiser dem Rabbi Low eine letzte Audienz, bei der dieser seine Schöpfung vorführte. Der Golem rettete dem Kaiser das Leben, worauf der Kaiser seinen Erlass widerrief. Doch wie alle jüdischen Geschichten, so endet auch diese tragisch. Nachdem der Golem zu einem Mord angestiftet worden war, reagierte er nicht mehr auf die Befehle seines Herrn. Er wurde zur Bedrohung, aber alle Versuche des Rabbis, sein Geschöpf auszuschalten, schlugen fehl. Schließlich bereitete ein kleines Mädchen vor den Toren Prags dem Golem ein Ende.«
    Vesely starrte immer noch durch den Nebel auf das Wasser. »Die Sage behauptet, der Golem kehre alle dreiunddreißig Jahre - die Lebensspanne Jesu - nach Prag zurück, tauche an einem beliebigen Zimmerfenster im Ghetto auf und verschwinde wieder.« Als er feststellte, dass seine Pfeife erkaltet war, riss er ein Streichholz an. »So war es schon immer … im Nebel der Moldau verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Realität.«
    »Die Mordserie begann exakt an Michas dreiunddreißigstem Geburtstag«, erinnerte Hogart sich.
    »Vielleicht hält er sich für den wiedergeborenen Golem?«, spekulierte Ivona.
    Vesely hörte ihnen nicht zu. Er zog wieder an seiner Pfeife und blickte auf den Fluss hinaus. Erst das Läuten seines Handys riss ihn aus den Gedanken. Eilig kramte er es aus der Manteltasche und betrachtete das Display. »Es ist Pavel!«
    Nach einem kurzen Gespräch steckte Vesely das Handy wieder weg. »Auch die ausständigen Datenbanken liefern keinen Hinweis«, seufzte er mit bedrückter Miene. »Wir stehen wieder am Anfang unserer Suche.«
    »Dann bleibt nur noch der Film«, sagte Hogart.
    »Eine äußerst dünne Spur«, meinte Vesely.
    »Haben Sie eine Idee, wo wir ein Exemplar davon auftreiben könnten?« Hogart sah Vesely an, danach Ivona.
    Vesely runzelte die Stirn. »Der Film ist über achtzig Jahre alt. Möglicherweise besitzt das Prager Filmarchiv eine Kopie der Rollen.« Abermals griff

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