Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
Entlassung, existieren in der Schalker Geschichtsschreibung zwei weitere Varianten. Die eine, von Eichberg häufiger kolportierte: Er, Eichberg, habe Neururer im Vorfeld wiederholt aufgefordert, es zu unterlassen über die ihm wohlgesonnene »Bild«-Zeitung Druck auf den Verein hinsichtlich seiner Vertragsverlängerung auszuüben. Eichberg soll Neururer gegenüber geäußert haben, wenn er diese Karte noch einmal spiele, werde er unverzüglich entlassen. Insofern sei der Rauswurf nicht plötzlich gekommen. Neururer versichert, dass es diese Drohung vonseiten Eichbergs nie gegeben hat.
Variante zwei wird von Manager Helmut Kremers ins Spiel gebracht: Neururer habe bei den Verhandlungen mit dem Club gefordert, sein Vertrag solle Gültigkeit behalten - auch wenn Schalke wieder nicht aufsteige. Dieser Bitte habe der Verein nicht entsprechen wollen. Auch dieser Variante widerspricht Neururer. Er ist sich hingegen bis heute sicher, dass Eichberg und Kremers ihre Argumente vorgeschoben haben. Tatsächlich sei es Eichberg immer darum gegangen, den zu groß, zu beliebt gewordenen Neururer loszuwerden, um Eichbergs Wunschkandidaten Aleksandar Ristic, damals Trainer von Fortuna Düsseldorf, als seinen Nachfolger zu beschäftigen. Ein Fall von multipler Persönlichkeitskarambolage, wie Neururer das nennt. Eichberg, der in Düsseldorfwohnt, will es den Herren bei der dort beheimateten Fortuna zeigen. Seht her, ich, Günter Eichberg, bin imstande, jeden Trainer der Welt zu verpflichten. L'etat c'est moi. Nur wenige Wochen später unterschreibt Ristic bei Schalke. Als es für den Verein um Kopf und Kragen gegangen ist, war Neururer für Eichberg der Größte.
Nachdem er die Nachricht vernommen hat, geht Neururer wie benebelt aus dem Präsidentenzimmer zurück zu seiner Mannschaft. Seine Ansprache ist kurz mit dünner Stimme: »Jungs, ich föhr jetzt nach Hause. Ich bin entlassen worden.« Die Spieler sind fassungslos. Neururer verlässt den Raum, geht zu seinem Auto und fahrt ohne Umweg nach Hause. Als er zu Hause ankommt, weiß seine Frau Antje bereits Bescheid. Journalisten haben angerufen, um vom Trainer Details der Entlassung zu erfahren.
Neururer setzt sich ins Wohnzimmer seiner Wohnung unweit des Maritim-Hotels in Gelsenkirchen. Er ist fix und fertig. Es klingelt an der Tür. Der Mannschaftsrat betritt den Raum: Peter Sendscheid, Andi Müller, Werner Vollack und Jens Lehmann - auch Dietmar »Didi« Schacht, den Neururer kurz zuvor von seinem alten Verein Alemannia Aachen geholt hat, ist mitgekommen. Die Botschaft des Quintetts ist eindeutig: »Trainer, wir haben beschlossen, nicht mehr zum Training zu erscheinen.«
»Wie bitte?«, fragt Neururer und redet auf die Jungs ein, sie verspielten den Aufstieg, was hat man nicht alles gemeinsam erlebt, und was soll das ihm, dem gekündigten Trainer, denn noch helfen?
Die Mannschaft lässt die Streikabsichten fallen, trainiert ganz normal - und ist zum Glück dann auch gleich wieder erfolgreich. Unter den Augen ihres alten Coachs.
Denn Neururer kann es nicht lassen, das anstehende Spiel seiner gerade ehemaligen Mannschaft zu besuchen. Er sitzt auf der Tribüne. Es geht mit ihm durch, es treibt ihn hin, er kann nicht anders, er muss dorthin, muss zusehen.
Im ersten Spiel nach dem RauswurfNeururers, dem Derby gegen Rot-Weiss Essen bleibt - erstmals in der Vereinsgeschichte übrigens - die Nordkurve leer. Auf zuvor aufgehängten Transparenten protestieren die Fans gegen Eichberg und gegen den Rauswurf ihres Lieblingstrainers.
Neururer befindet sich in den ersten Tagen nach seiner Demission in einem Zustand aus Unverständnis, Enttäuschung, Trauer und Ohnmacht, die Übergänge in die verschiedenen Gemütszustände sind dabei fließend. Manchmal kommt er sich vor wie einer, vor dem man abrupt die Jalousie heruntergezogen hat und der jetzt allein im dunklen Zimmer steht und sich nur eines fragt: Warum?
Auch wenn er sich mit dem Verein finanziell schnell einig wird, das überraschende Ende seiner Zeit auf Schalke beschäftigt ihn. Bei Eichberg, das ist ihm immer klar gewesen, muss man mit einer Menge an Überraschungen leben -aber mit seinem Rauswurf noch dazu in einer solchen Situation, in der man punktgleich mit dem Tabellenführer auf klarem Aufstiegskurs liegt, damit hat der Trainer einfach nicht gerechnet. Helmut Kremers und Peter Neururer sind heute längst wieder gute Freunde. Manchmal spielen sie Golf zusammen. Über die Entlassung haben die beiden nie wieder gesprochen,
Weitere Kostenlose Bücher