Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
gerade besonders rücksichtsvoll aufgelegt. Spikker liest auch die Zeitung:
»Peter, du Arsch, das ist nicht dein Ernst. Du hast was von Erster Liga gesagt«, brüllt Spikker. »Bochum, das ist nicht Erste Liga, sondern unser größter Konkurrent.« Ahlen will ja selbst aufsteigen.
»Helmut«, unterbricht Neururer die Wutrede Spikkers, »du hast nicht >Erste Liga< gesagt, sondern du hast mir die Freigabe für einen erstklassigen Verein< gegeben - und für mich ist der VfL Bochum nichts anderes als ein erstklassiger Verein.«
Spikker lässt sich nicht beruhigen, bleibt aber sportlich fair, einen Rückzieher von seiner erteilten Freigabe macht er genauso wenig, wie er Neururer in irgendwelche juristischen Streitereien hineinzieht- und das, obwohl auch Helmut Spikker weiß, dass es acht Spieltage nach diesem Telefonat bereits zum direkten Duell beider Mannschaften in der Zweiten Liga kommen wird. Bochum und Neururer gewinnen - in diesem Moment und auf dem Platz. Spikker bleibt fair, das Verhältnis zwischen ihm und Neururer ist bis heute in Ordnung.
Bevor es gegen seinen Ex-Club Ahlen geht, hat Neururer jedoch eine Kraftprobe der anderen Art zu bestehen. Die Fans in Bochum sind aufgebracht. Wegen des Abgangs des von ihnen verehrten »Ennatz« Dietz meutern sie, vor allem aber, weil der Verein dann auch noch einen ehemaligen Trainer des bis heute sehr ungeliebten Nachbarn aus Schalke zum Nachfolger machen muss. Das treibt die Sache auf die Spitze.
Als Neururer also zu seinem ersten Spiel als Bochum-Trai-ner bei Union Berlin das Stadion »An der Alten Försterei« betritt, hängen am Zaun vor dem Gästeblock die Transparente auf dem Kopf. Es ist das sichtbare Protestzeichen der VfL-Fans gegen den Wechsel auf der Trainerbank. Als die vielleicht 500 Bochum-Anhänger Neururer erblicken, brüllen sie ihm aus dem Fanblock eine besondere Begrüßung entgegen: »Wir wol-len kei-ne Schal-ker Schwei-ne!« Verhärtete Fronten, die Situation scheint aussichtslos. Doch Neururers Glück ist, dass die Mannschaft unter seiner Leitung dynamischen, leidenschaftlichen Angriffsfußball spielt. Über diese Leistungssteigerung auf dem Platz können auch die Fans auf den Tribünen nicht hinwegsehen, erstmals wird die Truppe im Ruhrstadion wieder gefeiert - ausgerechnet, nachdem sie ein Spiel verloren hat.
Vier Tage nach Neururers Debüt in Berlin, das mit 0:1 verloren geht, trifft der VfL am 11. Dezember 2001 zu Hause in Runde zwei des DFB-Pokals auf den Erstligisten Bayer Leverkusen. Das Leverkusen von Klaus Toppmöller, jenem Mann, der Bochum 1997/98 bis ins Achtelfinale des UEFA-Pokals geführt hat und dessen Name somit für den größten internationalen Erfolg des Clubs steht. In Leverkusen lässt »Toppi« in dieser Phase zauberhaften Offensivfußball zelebrieren, und so nimmt es nicht wirklich wunder, dass der Favorit aus Leverkusen sich auch gegen Neururers Bochum durchsetzt. Bayer gewinnt durch ein Tor von Stürmer Dimitar Berbatow in der Nachspielzeit mit 3:2, aber der VfL hat ein tolles Spiel gemacht. Dafür erhält die Mannschaft - trotz des »Schalke-Schweins« auf der Bank - Standing Ovations. Das Eis ist gebrochen.
Die Niederlage, vor allem aber die Art und Weise, wie man sich gegen diesen großen Gegner aus der Ersten Liga verkauft hat, signalisiert Mannschaft, Publikum und nicht zuletzt dem Trainer, dass die Entscheidung für eine offensive Ausrichtung die richtige ist. Unentschieden, das bläut Neururer seiner Mannschaft ein, zähle bei der Jagd auf einen Aufstiegsplatz nicht, es muss gewonnen werden und am besten noch hoch, denn: Will man im Kampf um die ersten drei Tabellenplätze angreifen, dann muss auf jeden Fall auch das am Ende möglicherweise entscheidende Torverhältnis besser werden.
Das System, das Neururer spielen lässt, nennt er »ohne alles«: zwei nominelle Manndecker, drei effektive Spitzen, Dariusz Wosz noch dahinter, tatsächlich aber bewegt sich die komplette Mannschaft immer wieder nur nach vorn. Der VfL Bochum lässt sich lostreten wie eine Lawine - egal ob zu Hause oder auswärts. Wobei das kompromisslose Offensivsystem in zwei Fällen auch schon mal nach hinten losgeht. Zunächst verliert man in Karlsruhe mit 1:4, zwei Wochen später - nach einem 1:1-Unentschieden beim Mitaufstiegsfavorit Mainz und einem 4:2 zu Hause gegen Hannover - geht die Sache bei Rot-Weiß Oberhausen gewaltig in die Hose.
Im Niederrheinstadion sieht VfL-Verteidiger Michael Bemben in der 21. Minute für ein Handspiel Rot,
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