Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
den fälligen Elfmeter zum 3:0 für RWO verwandelt Jörg Lipinksi. Am Schluss steht es 6:1 und Neururer sagt: »Da hätten wir auch zehn kriegen können, wenn wir noch zwanzig Minuten länger gespielt hätten. Jeder Schuss von denen war ein Treffer. Es war einfach unglaublich.«
Nach diesem Erlebnis sitzt die Mannschaft geknickt in der Kabine. Zwölf Spiele sind es noch, der Rückstand auf einen Aufstiegsplatz beträgt acht Punkte, die Hoffnung, es doch noch schaffen zu können, schwindet merklich. Zum ersten Mal nach einem Spiel kommt Präsident Altegoer in die Kabine. Er sieht einen darüber sichtlich erstaunten Neururer, denn der Trainer hat dem Präsidenten angesagt, dass für ihn - von abgesprochenen Besuchen ausgenommen - die
Kabine Tabuzone ist. Neururer beherrscht sich, drückt seine Verärgerung beiseite, geht auf Altegoer zu und sagt: »Gut, dass Sie hier sind, aber heute bitte keinen Ton.« Altegoer hält sich daran. Beide wissen, dass es keinen Sinn macht, auf einer Mannschaft, die am Boden liegt, herumzutrampeln. Aber beide wissen auch, dass man die Mannschaft, will man die geringe Aufstiegschance wahren, sehr schnell wieder hinbekommen muss. Nach dem Spiel besprechen sich Neururer und Altegoer. Neururer schlägt vor, eine letzte Motivationsspritze zu setzen. Altegoer stimmt der Idee des Trainers zu.
Auf der Mannschaftssitzung am darauffolgenden Tag sagt Neururer zu seinen Jungs: »Wir haben gestern sechs Stück gekriegt. Über die Art und Weise sprechen wir später. Aber für mich war dieses Spiel ein glasklares Zeichen - einer der drei Aufstiegsplätze ist unser! Und wer daran nicht glaubt - und das habe ich mit dem Präsidenten abgesprochen -, der möge jetzt die Hand heben. Er erhält seine Bezüge in voller Höhe weiter und h&t ab sofort frei bis zum Saisonende.«
Natürlich weiß Neururer, dass keiner der Spieler sich in dieser Situation trauen würde auszusteigen. Keiner will sich die Blöße geben, als »Kameradenschwein« bezeichnet zu werden. Man lässt seine Mannschaft nicht im Stich. Als er sieht, wie sein »Vorschlag« in den Köpfen der Spieler durchfällt, ist Neururer sich sicher: Da geht jetzt alles. Und: Es geht alles. Nach diesem Tag verliert der VfL in seinen zwölf Ligaspielen bis zum Saisonende nur noch eins - jenes beim späteren Mitaufsteiger Arminia Bielefeld. Es ist ein Lauf, der das Attribut sensationell in geradezu jeglicher Weise verdient.
Bochum gewinnt seine restlichen sechs Heimspiele, nur eines davon - das letzte gegen Union Berlin (2:1) - mit weniger als drei selbst geschossenen Toren. Und auch auf fremdem Platz wird ohne Rücksicht auf Verluste attackiert. »Dieser Fußball«, erklärt Neururer, »entstand aus einer Situation, die man als Trainer liebt. Wir standen mit dem Rücken zur Wand. Ich konnte also nur noch gewinnen.«
Es läuft auf ein Endspiel hinaus, genauer gesagt drei Endspiele. Denn während Neururer und der VfL am vorletzten Spieltag im Ruhrstadion sehr glücklich Union Berlin bezwingen, leisten sich die in der Tabelle besser platzierten Teams von Mainz 05 und Arminia Bielefeld schlappe Unentschieden. Der Erste, Hannover 96, ist bereits aufgestiegen. Die Situation vor den letzten 90 Minuten der Saison ist folgende:
1. Hannover 96 -- +52 Tore, 72 Punkte
2. Mainz 05 -- +30 Tore, 64 Punkte
3. Arminia Bielefeld -- +28 Tore, 62 Punkte
4. VfL Bochum -- +18 Tore, 62 Punkte
Die Spiele, die an diesem 5. Mai 2002 anstehen, sind diese: Arminia Bielefeld - LR Ahlen (Ahlen ist TabeIlen-8.) Union Berlin - Mainz 05 (Berlin ist Tabellen-6.) Alemannia Aachen - VfL Bochum (Aachen ist Tabellen-12.)
Klar ist: Bochum muss - den eigenen Sieg in Aachen vorausgesetzt- darauf hoffen, dass die Mainzer oder die Bielefelder verlieren.
Da Peter Neururer, wie sich später zeigen wird, zu Recht davon ausgeht, dass Bielefeld kein Problem mit seinem Ex-Club Ahlen haben wird, setzt er auf Union Berlin. Die müssen Jürgen Klopps Mainzer schlagen. Neururer greift zum Telefon, er wählt die Nummer von Steffen Menze, seinem ehemaligen Spieler in Hannover: »Menze«, meldet sich der Spieler. »Steffen, Peter Neururer hier. Wollte dir nur viel Glück für das Spiel am Wochenende wünschen.«
»Ja, danke, Trainer«
»Und du weißt ja, Steffen, wenn ihr das Ding gegen Mainz gewinnt und wir unseres, dann sind wir aufgestiegen.«
»Das ist mir klar.«
»Dann kann ich mich darauf verlassen, dass ihr gegen Mainz schön Gas gebt, oder?«
»Klar, können
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