Peter Nimble und seine magischen Augen
trächtigen Mutterschaf. Am nächsten Morgen, als die Leute den toten Drachen sahen und Tode, der friedlich daneben lag und schlief, feierten sie ihn als Helden und verlangten, dass er zum Ritter geschlagen wurde. Und so war aus dem Schafhirten Sir Tode geworden.
Die ganze Geschichte war Sir Tode natürlich äußerst peinlich, und deshalb hatte er sie nie einer lebenden Seele erzählt – bis jetzt. »Ich bin kein Held«, sagte er mit Tränen in den Augen. »Ich verdiene Ihren Respekt nicht, ganz zuschweigen von meinem Titel. Ich bin nur ein Schafhirte mit dem Namen eines Edelmanns.«
Simon musterte seinen Gefährten eine ganze Weile. Als er schließlich sprach, war die Härte aus seiner Stimme verschwunden. »Auch ich weiß, was Angst bedeutet. Ich musste zusehen, wie die Feinde meine Brüder und meinen König töteten. Nachdem Mordecai mit dem neugeborenen Prinzen geflohen war, war ich vollkommen allein.« Er zögerte einen Moment, unsicher, ob er weiterreden sollte. »Sie fragen sich vielleicht, warum ich so lange gebraucht habe, um in die unterirdischen Tunnel zu gelangen und die Prinzessin zu befreien. Dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Ich hatte Angst. Jahrelang habe ich mich wie ein Feigling vor den Affen versteckt. Aber eines Nachts, als ich in meinem Versteck auf den Dachbalken hockte, sah ich sie – meine Prinzessin –, wie sie zusammen mit den anderen Sklaven durch die Säle des Palasts geschleift wurde. Ein heftiger Windstoß packte mich und fegte mich von meinem Balken. In dem Moment war mein Leben im Versteck zu Ende. Bevor ich wusste, wie mir geschah, flog ich mit gespreizten Klauen auf die Affen zu, bereit zum Kampf.« Der alte Rabe schüttelte den Kopf. »Es gibt Zeiten, da verlangt die Gerechtigkeit mehr von uns, als wir bereit sind zu geben. Ich habe keinen Schnabel mehr, und doch muss ich kämpfen.«
Simon spähte zum Luftschiff hinüber und sah, dass die Affen mit dem Beladen fertig waren und sich zum Abflug bereit machten. Er breitete seine Flügel aus. »Ich fürchte, wir haben keine Zeit mehr, darüber zu diskutieren, ob Sie ein Held sind oder nicht – die Gerechtigkeit zwingt uns zu handeln!« Er packte den Ritter und hob ihn in die Luft.
»Was machen Sie da, um Himmels willen?!«, rief der Ritter entsetzt aus. »Sie werden uns töten!«
»Nicht, wenn wir sie zuerst töten! Es ist an der Zeit, sich Ihren Titel zu verdienen, Sir Tode!«
Wie Peter vermutet hatte, waren sämtliche Wände des Palasts ausgehöhlt worden, um den Schließmechanismus einzubauen. In dieser völligen Dunkelheit war er derjenige, der die Führung übernahm. »Beeil dich!«, drängte er Peg, während er zwischen den ruhenden Bolzen und Zahnrädern hindurchschlüpfte. »Wir müssen bis zur Sklavenküche kommen, bevor die Glocke läutet.«
Die Prinzessin zwängte sich unter einer riesigen Antriebswelle hindurch. Die Vorstellung, was die mit ihrem Kopf anstellen würde, wenn sie sich in Bewegung setzte, war wenig verlockend, und so beeilte Peg sich, ihrem Bruder zu folgen, der ihr schon ein gutes Stück voraus war.
Schließlich gelangten sie zu einem schmalen Wasserlauf, der mit sauberem Quellwasser gefüllt war. Auf der Oberfläche trieb eine endlose Prozession von Platten mit dampfendem Essen. »Die Sklavenkinder müssen sämtliche Mahlzeiten zubereiten«, erklärte Peg. »Sie schicken die Platten über diese schmalen Kanäle in den Speisesaal. So sehen die Erwachsenen nie, wer die Speisen zubereitet. Wenn wir diesem Kanal flussaufwärts folgen, müsste er uns direkt an unser Ziel bringen.«
Auf ihrem Weg dorthin erzählte Peter ihr seine ganze Geschichte: wie er als Dieb in einer kleinen Hafenstadt aufgewachsen war; wie er bei Mr Seamus und seinem schrecklichen Hund Killer gelebt hatte; wie er die geheimnisvolle Kiste des Hökers gestohlen hatte; wie er mit Sir Tode beinahe im Sorgensee ertrunken wäre; und wie er Frederick den Hundshai getroffen hatte und zu seinem Angelhaken gekommen war.
»Schade, dass wir diesen Hundshai jetzt nicht bei uns haben«, sagte Peg. »Bestimmt könnte er diese grässlichen Seeschlangen in Schach halten.«
»Dafür ist es zu spät. Hier im Königreich haben wir keine Möglichkeit, ihn zu erreichen. Ich fürchte, das müssen wir vier allein schaffen … zusammen mit den magischen Augen.« Peter klopfte auf die Kiste in seinem Sack.
Das brachte Peg auf eine Frage, die sie schon eine ganze Weile beschäftigte. »Warum hast du das grüne Paar noch nicht ausprobiert?
Weitere Kostenlose Bücher