Peter Nimble und seine magischen Augen
gespieltem Mitgefühl hinzu. »Sobald der Bohrer die Wand durchstößt, könnt ihr schlafen, so viel ihr wollt.« Bei diesem Scherz brachen die anderen Affen in kreischendes Gelächter aus.
»Aufgepasst!«, dröhnte einer der Wächter. »Hier spricht euer Königlicher Sklavenmeister!« Die Stimme gehörte dem Affen namens Pranke. Er war vor kurzem zum Leiter der Minen befördert worden und genoss seine neue Macht enorm. »Ab sofort guckt ihr Maden nur noch auf die Wand vor euch. Der Erste, der sich umdreht, wird zu Fischfutter. Kapiert?«
Peg und die anderen folgten der Anweisung. Sie marschierten vorwärts, den Blick auf den dröhnenden Bohrer gerichtet. »JA, GENAU!«, rief Pranke. »SCHÖN WEITER SO!« Peg fiel auf, dass seine Stimme irgendwie entfernt und ein wenig metallisch klang.
»SCHÖN NACH VORN GUCKEN!«, gluckste eine andere Stimme, die ebenfalls metallisch klang. »HIER HINTEN GIBT’S NICHTS ZU SEHEN!« Mehrstimmiges Gelächter ertönte.
Peg lauschte auf das blecherne Lachen hinter ihr. Der Klang erinnerte sie an den Messingtrichter, mit dem der König Langkralle zu sich gerufen hatte. Sie beschloss, das Wagnis einzugehen, und drehte sich trotz des Verbots zum Tunneleingang um. Und tatsächlich: Die Affen waren verschwunden. Die Ketten der zwölf Seeschlangen hatten sie an einen Stalagmiten am Fuß der Treppe gebunden.
»Warum verschwinden die auf einmal?«, murmelte sie. Als sie sich wieder umwandte, um weiterzugehen, schoss ein Wasserstrahl aus der Wand und traf sie mitten ins Gesicht.Spuckend und hustend starrte sie hinauf zum Bohrer –
Und da endlich begriff sie, was los war.
Dieses magische Ungeheuer war wie eine riesige Schaufel. Und die Wand der Höhle bestand nicht aus kilometerdickem Felsen, sondern nur aus einer dünnen Schicht. Dahinter lag der »Ozean«, von dem Simon erzählt hatte … und wenn dieser Ozean durch die Wand brach, würden sie alle in den Fluten ertrinken!
»Das ist eine Falle!«, schrie sie. »Alle anhalten!« Doch der Lärm der Maschine war so laut, dass keiner von den Sklaven sie hören konnte. Sie würde dafür sorgen müssen, dass sie ihr zuhörten.
Peg sprang aus ihrem Käfigrad und in das trübe Wasser. Die Seeschlangen nahmen sie sofort wahr und zerrten mit aller Kraft an ihren Ketten. In sicherem Abstand schwamm sie zu einem Stück trockenem Felsen. Das war einst die Insel gewesen, wo die Kinder geschlafen hatten; jetzt war nur noch ein winziger Rest davon übrig. Genau in der Mitte befand sich ein mächtiger Ring aus Eisen, und daran war eine endlos lange Kette befestigt, die sich quer durch die Höhle und durch die Fußschellen jedes einzelnen Sklaven schlängelte. Peg packte die Kette mit beiden Händen und stemmte die Füße in den Boden.
Manchmal sind Menschen in einer so verzweifelten Lage, dass sie Dinge vollbringen, die eigentlich unmöglich sind. Ich habe zum Beispiel einmal von einem Mann mit langen Haaren gehört, der es geschafft hat, mit seinen bloßen Händen einen Palast umzustoßen. Für Peg, die mit ihren schmalen Fingern die rostige Kette umklammerte, war es genau so ein Moment. Mit einem lauten Schrei zerrte sie daran, so fest sie konnte. Da die Kette an den Fußschellen befestigtwar, bewegte sich nicht nur sie, sondern auch jedes Kind am anderen Ende. Der Junge, der Peg am nächsten war, wurde regelrecht von den Füßen gerissen. Mit seinem Sturz brachte er das Mädchen neben ihm zu Fall, und so ging es in einer Art »Kettenreaktion« weiter. Innerhalb kürzester Zeit lagen Hunderte von Kindern prustend und schimpfend im knietiefen Wasser und versuchten herauszukriegen, wer sie umgeschubst hatte.
Knirschend blieben die Räder der Grabemaschine stehen, und zwar keine Sekunde zu früh. Peg konnte förmlich hören, wie das Meer von der anderen Seite gegen die Felswand drückte. Sie ließ die Kette los und legte die Hände wie einen Schalltrichter um den Mund. »Achtung, Untertanen! Bitte alle mal herhören!« Diesmal konnte sie sich verständlich machen. Die Kinder standen auf und warteten auf ihre Anweisungen. »Wir sind in großer Gefahr«, rief sie. »Auf der anderen Seite dieser Wand ist etwas, das uns jeden Moment töten kann!«
Dummerweise hatte Peg noch nicht viel Erfahrung mit dem Redenhalten. Ihre Worte waren zwar zutreffend, aber äußerst ungeschickt gewählt. Sie hatte kaum ausgesprochen, da brach nackte Panik unter den Kindern aus. Kopflos versuchten alle, vor dem schrecklichen »Etwas« wegzulaufen, das hinter der Felswand
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