Peter Walsh - Gesamtausgabe Teil 1 - 4 zum Sonderpreis, Thriller (German Edition)
sein.
Die ehrlichen Worte des Meisters bestätigten das, was er eh über dessen Charakter dachte. Er war schon immer direkt, aber dabei stets sehr freundlich und respektvoll. Er hatte den Meister in all der Zeit nie wütend oder aufbrausend erlebt. Unermüdlich begleiteten ihn ein Lächeln und eine Ruhe, für die er ihn sehr bewunderte. Einige Male hatte er schon Gespräche mit ihm geführt. Aber meist eher belanglose Sachen - über das Wetter, das Essen, häufiger auch darüber, wie man richtig meditiert oder über das harte körperliche Training, das sich Walsh täglich zumutete.
Walsh hatte versucht, den Schmerz durch Sport und körperliche Anstrengungen zu verdrängen. Er stand immer sehr früh auf, joggte zwanzig Kilometer noch bevor er etwas aß und stählte seinen Körper mit allerlei Übungen, die die Natur ihm ermöglichten. Um durchtrainiert zu sein, musste man keine Hanteln im Studio stemmen. Baumstämme, steile Wege und jede Menge anderer natürlicher Trainingsgeräte waren teilweise noch viel effektiver. Daher war Walsh Körper auch bis auf den letzten Millimeter durchtrainiert.
Er war schon immer außerordentlich gut in Form, aber so wie im Kloster noch nie. Mit seinen 1,85 Metern Körpergröße und seinem stahlhartem Körper sah er aus wie ein Modellathlet. Walsh war sich auch nie zu schade dafür mit anzupacken. Er half, wo er konnte. Dennoch verschwand niemals die Distanz zwischen ihm und den Mönchen. Man redete kurz miteinander, war sich freundlich gesonnen, aber er hatte zu keinem eine Freundschaft aufgebaut. Daher verwunderte es ihn, wie der Meister wissen konnte, welche Unruhe ihn zu dieser geistigen Reise getrieben hatte.
Der Meister sah die Sorgen in seinen Augen und lachte leise.
„Fühl dich frei, alles zu fragen. Vielleicht wirst du ja Antworten in den meinen finden.“
„Besitzt Ihr auch die Gabe? ... Nein, verzeiht, natürlich besitzt Ihr die Gabe, sonst hättet Ihr mich nicht gerettet.“
„Ja, ich besitze auch eine Gabe, die wir mit unserem derzeitigen Menschenverstand nicht erklären können. Dieser Gabe habe ich es zu verdanken, dass ich seit früher Kindheit in diesem Kloster verweilen darf. Wir nennen sie aber nicht Gabe. Für uns, für mich, ist sie ein göttliches Geschenk, das es zu ergründen gilt. Und natürlich die Frage: Warum haben sie einige und warum andere nicht?“
„Und haben Sie Antworten gefunden?“
Lachend antwortete er: „Nein. In all den Jahrzehnten der Suche und Forschung habe ich keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Ich kenne nur zwei Personen, die über diese Gabe verfügen. Der Dalai Lama, mit dem ich in regem Austausch auf diesem Gebiet stehe, und dich. Einem Nicht-Buddhisten. Was ich sehr ungewöhnlich finde.“
Walsh war überrascht. Er dachte, dass Buddhisten sich vorrangig dem Glauben und der Meditation widmeten, aber nicht der „Forschung“. Obwohl – wo genau liegt der Unterschied? Auch der Glaube ist letztlich nur eine Suche, wie die Forschung es ist. Die Suche nach Antworten auf Fragen, alte wie neue. Die Suche nach … Erkenntnis und Wissen. Die Suche nach dem Grund und dem Ursprung einer ganz bestimmten Sache.
„Habt Ihr mich deswegen aufgenommen? Wusstet Ihr von Anfang an, dass ich über diese Gabe verfüge?“
„Wie hätte ich das nicht wissen können!? Du bist förmlich von der Gabe umschlossen. Nicht einmal der Dalai Lama besitzt diese Intensität, wie du sie besitzt. Und ich spürte diese Intensität, lange bevor du überhaupt in der Nähe des Klosters warst. Und ich wusste, dass die Gabe dich zu uns geschickt hat. Nur war mir nicht bewusst warum. Hättest du nicht diesen großen Schmerz in deinem Herzen getragen, dann hättest auch du meine Gabe gespürt.“
Walsh nickte nur, da er wusste, dass der Meister recht hatte. Einer mit dieser Gabe spürte es, wenn ein anderer mit dieser oder einer ähnlichen Fähigkeit in seiner Nähe war. Aber seelischer Schmerz unterbricht diese Fähigkeiten sehr oft. Und Walsh war sehr von Schmerz und Trauer geplagt - damit wusste er auch, dass der Meister über seinen Schmerz bescheid wusste. Der Meister musste sehr stark in seiner Gabe sein. Sicherlich war seine noch mächtiger als die von Walsh. Wie sonst hätte er ihn zurück zu den Lebenden holen können?
Er rechnete ihm hoch an, dass er ihn in den letzten zwei Jahren nie auf seinen Schmerz angesprochen hatte.
Welch weiser Mann , dachte Walsh.
„Habt Ihr auch die Stimme gehört?“,
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