Peter Walsh - Gesamtausgabe Teil 1 - 4 zum Sonderpreis, Thriller (German Edition)
als würde er ahnen, dass Nina entführt wurde. Für Marc waren das Leben und die Welt schön. Er fühlte sich geliebt und er liebte selbst. Was konnte er sich mehr wünschen? Nina an seiner Seite! Aber das, so dachte Marc sicherlich in diesem Moment, würd er schon sehr bald tun. Außer Marc wussten alle, welche Illusion dies war. Aber ihn zumindest wollten sie vorerst nicht mit der brutalen Realität konfrontieren. Noch durfte Marc sich in einer Realität bewegen, in der alle Menschen gut waren und alle sich lieb hatten.
Kapitel 52
Tag 3 nach der Entführung, irgendwo, 09:50 Uhr
Jedes Mal, wenn der Clown zu ihr ins Zimmer kam, weil er Essen und Trinken brachte oder den Eimer mit der Notdurft mitnahm, hatte Nina versucht, auf ihn einzureden, zu erfahren, warum sie gefangen gehalten wurde. Aber der Clown hatte immer nur geantwortet: „Du stellst zu viele Fragen, kleines Mädchen. Das ist gefährlich.“
„Aber ich habe niemandem was getan. Warum tun Sie das?“ Der Clown hatte nie auf diese Frage geantwortet.
„Werdet ihr mir auch wehtun, wie Kathrin?“, war eine weitere ihrer Fragen, da sie fürchtete, wie Kathrin den Verstand zu verlieren. Sie wusste nicht, was man ihr angetan hatte, aber sie ahnte, dass es etwas sehr Schlimmes sein musste. Wie schlimm es wirklich war, konnte ihr kindlicher Verstand gar nicht begreifen - und das war auch gut für sie.
„Wir werden dir nicht wehtun, Nina. Versprochen. Dafür bist du zu wertvoll“, sagte der Clown und streichelte Ninas Haare. In diesem Moment trat Nina mit ihrem rechten Fuß in den Intimbereich des Clowns. Sich bei Gefahr auf die Art zu wehren wird Kindern heute schon sehr früh beigebracht. Der Clown zuckte kurz vor Schmerz zusammen. Das nutzte Nina, um aus der Zelle zu fliehen. Doch bevor sie die Tür hinter sich lassen konnte hatte der Clown sie mit einem schnellen Schritt eingeholt, an den Haaren gepackt und sie wurde schreiend wieder zurück in die Zelle gerissen. Nina flog auf den Boden und schrie.
Der Clown gab ihr mit der Innenseite der rechten Hand einen Schlag auf die Wange. Nina schrie kurz auf, verstummte aber auch augenblicklich wieder.
„Du dummes Mädchen! Denkst du, du kannst fliehen?“, schrie der Clown in starkem russischem Akzent.
Nina antwortete nicht.
„Ralle ist nicht so nett wie ich. Wenn Ralle das gesehen hätte, hätte er dir ganz andere Sachen zugefügt. Also lass das Jammern, sonst endest du wie Kathrin“, brüllte er und schloss die Tür hinter sich zu, als er das Zimmer verließ.
Seitdem hatte Nina es nicht mehr gewagt, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Seitdem hatte der Clown auch nicht mehr mit ihr gesprochen und Nina hatte auch keine weiteren Fragen mehr gestellt. Sie saß die meiste Zeit auf ihrer Matratze und harrte der Dinge, die kommen würden. Ab und zu gelang es ihr, sich in ihre Tagträume zurückzuziehen. Dann war sie auf einer Wiese, zusammen mit ihrem Teddy und Marc. Sie spielten Verstecken, alberten und aßen kleine Äpfel, die an den Bäumen hingen. Schmetterlinge umschwirrten sie und der Duft von Blumen lag in der Luft. Sie vermisste ihren Teddy und Marc sehr. Sie konnte sich nicht erinnern, wo sie ihn gelassen hatte. Was sie wusste war nur, dass ihr Teddy beim Shoppen noch bei ihr war. Jetzt aber nicht mehr. Sie hoffte, dass sie ihn nicht verloren hatte. Sie hing sehr an ihm. Beim Gedanken an den Verlust des Teddys kamen ihr die Tränen. Und sie vermisste ihre Mama.
Ihre Mama hatte ihr immer gesagt, sie solle nicht mit Fremden sprechen. Aber der Clown war ja kein Fremder. Sie wusste nicht, wie das geschehen war, diese Entführung. Woran sie sich erinnerte war, dass sie ihrer Mama eine Jeans holen wollte, und als sie auf dem Weg zum Jeansstapel war, war ihr der Clown begegnet. Er war immer sehr nett und wollte sie umarmen. Also umarmte sie ihn. Was war schon dabei, wenn man einen Clown umarmte, den man kannte? Und danach, danach war alles schwarz!
Und jetzt lag sie neben einem verrückten Mädchen in einem Raum, der wie eine Gummizelle aussah. Es war kalt in dem Raum und es gab nichts zum Spielen. Wie sehr wünschte sie sich ihren Teddy bei sich...! So sehr, dass sie es gar nicht in Worte fassen konnte. Kinder mussten doch etwas zum Spielen haben. Was waren das für Barbaren, die Kinder gefangen hielten und ihnen nicht mal Spielzeug gaben!?
Es war schon verrückt, aber statt glücklich zu sein, dass sie lebte und dass man ihr nicht wehtat, wie Kathrin, vermisste sie ihr Spielzeug.
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