Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Akakijewitsch ganz neu vor; er war seit vielen Jahren wieder zum erstenmal abends auf der Straße. Er blieb neugierig vor der Auslage einer Bilderhandlung stehen und versenkte sich in die Betrachtung eines Bildes, auf dem eine schöne Dame dargestellt war, die sich gerade einen Schuh auszog und dabei ihr wirklich schönes Füßchen zeigte, während ein Herr mit Backenbart sie durch eine hinter ihrem Rücken befindliche Türe beobachtete.
Akakij Akakijewitsch schüttelte den Kopf und ging lächelnd weiter. Warum lächelte er? Weil er in eine Welt hineingeschaut hatte, die ihm zwar fremd war, für die aber doch ein jeder etwas Interesse hat, oder weil ihm der übliche Gedanke durch den Kopf ging: »Nein, diese Franzosen! Wenn die schon etwas machen, so ist es sozusagen …« Vielleicht dachte er auch gar nicht daran; ich konnte ihm ja nicht ins Herz sehen und seine Gedanken lesen.
Endlich erreichte er die Wohnung seines Vorgesetzten. Dieser lebte auf einem großen Fuß: die Wohnung befand sich im zweiten Stock, und die Stiege war sogar beleuchtet. Im Vorzimmer stand bereits eine lange Reihe Galoschen, daneben dampfte und summte ein Samowar. An der Wand hingen viele Mäntel und Paletots, darunter auch solche mit Biberkragen und Samtaufschlägen. Aus dem Nebenzimmer drangen Stimmen und Geräusche, die ganz deutlich wurden, als sich die Tür öffnete und ein Diener herauskam, der ein Tablett mit leeren Tassen, einem Milchtopf und einem Zwiebackkorb trug. Die Beamten waren wohl vollzählig versammelt und hatten anscheinend die erste Tasse Tee geleert.
Akakij Akakijewitsch hängte nun seinen Mantel eigenhändig an die Wand und trat ein; er sah Kerzen, Beamte, Kartentische und Pfeifen vor sich und hörte den Lärm vieler Stimmen und umhergerückter Stühle. Er blieb verlegen mitten im Zimmer stehen und wußte nicht, was er nun anfangen sollte. Man hatte ihn aber bereits bemerkt; die Kollegen begrüßten ihn stürmisch und gingen dann alle ins Vorzimmer hinaus, um den Mantel noch einmal in Augenschein zu nehmen. Akakij Akakijewitsch wurde ganz rot vor Verlegenheit, doch freute es ihn aufrichtig, daß der Mantel allen so gut gefiel. Die Kollegen ließen natürlich sehr bald ihn und seinen Mantel in Ruhe und wandten sich dem Whist zu. Der Lärm, das Stimmengewirr und die vielen Leute, kurz all das Ungewohnte wirkte auf den schüchternen Akakij direkt betäubend; er wußte nicht, wie er sich zu benehmen hatte und wo er seine Hände und seine ganze Gestalt hintun sollte. Endlich ließ er sich an einem der Spieltische nieder und begann den Spielern in die Karten zu schauen. Dies langweilte ihn auf die Dauer, und bald begann er zu gähnen, denn die Stunde, um die er gewöhnlich zu Bett ging, war längst vorüber. Er wollte sich verabschieden, man hielt ihn aber mit Gewalt zurück: er müsse noch unbedingt zur Feier des Tages Champagner trinken.
Bald kam das Abendessen, das aus einem Fleischsalat, kaltem Kalbsbraten, einer Pastete, Kuchen und Champagner bestand. Akakij Akakijewitsch mußte zwei Glas davon trinken; dies heiterte ihn etwas auf, doch vergaß er für keinen Augenblick, daß es schon zwölf Uhr war und daß er eigentlich längst im Bett sein sollte. Er fürchtete, wieder mit Gewalt zurückgehalten zu werden und schlich sich unbemerkt ins Vorzimmer. Er fand da seinen Mantel auf dem Boden liegen, was ihn sehr betrübte. Er hob ihn auf, putzte ihn sorgfältig und war bald auf der Straße.
Auf der Straße herrschte noch immer reges Leben. Viele Gemischtwarenläden – diese Versammlungslokale der Dienerschaft und auch anderer Menschen – waren noch geöffnet; andere Läden waren geschlossen, doch verriet der durch die Türspalten dringende Lichtschein, daß inwendig noch Leben herrschte und daß manches Dienstmädchen ihren Klatsch noch nicht beendet hatte. Akakij Akakijewitsch ging seinen Weg in der besten Gemütsverfassung und ließ sich sogar hinreißen, eine Zeitlang einer Dame zu folgen, bei der jeder Körperteil ungewöhnliche Beweglichkeit verriet; sie verschwand aber wie ein Blitz aus seinem Gesichtskreis. Er wunderte sich selbst über seine Unternehmungslust und ging zu seiner früheren gemächlichen Gangart über. Er kam allmählich in die stilleren entlegeneren Straßen, die auch bei Tageslicht wenig anheimelnd sind, um so weniger aber nachts. Die Laternen wurden immer seltener, und ihr Licht wurde trüber, denn in der Vorstadt sparte man offenbar mit dem Öl. Endlose Bretterzäune zogen sich hin, und
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