Pfad der Schatten reiter4
werden. Er betrachtete seinen Drachenring und das leise Glühen des Rubins. Der Ring protestierte nicht, und Amberhill lächelte.
Zumindest herrschte keine brütende Sommerhitze, dachte Hank Fenn, der sich am Galgenplatz an seinen Spieß lehnte. Er bewachte drei Leichen, die gerade vom Galgen genommen und auf das Kopfsteinpflaster gelegt worden waren. Er hatte sie mit alten Decken zugedeckt.
Die brütende Sommerhitze. So hatte seine Großmutter immer gesagt, wenn die Luft dick vor Feuchtigkeit war, kein Lüftchen wehte und die Sonne alles, worauf sie fiel, zum Kochen brachte.
Es war nicht mehr so wie in den alten Tagen, als ein Verbrecher wochenlang am Galgen oder eingesperrt im Hängekäfig geblieben war, bis ihm das Fleisch an den Knochen verrottete. Feldwebel Corly, der schon seit undenklichen Zeiten Soldat war, hatte gesagt, dass damals ein fürchterlicher Gestank über dem Platz gehangen hatte.
Aber jetzt war noch nicht Sommer, nicht einmal Frühling, die Luft war noch frisch, und König Zacharias ließ nicht zu, dass die Verbrecher auf unbestimmte Zeit hängen blieben, sondern hatte befohlen, dass sie gleich nach der Hinrichtung vom Strang geschnitten werden sollen.
Als Hank Feldwebel Corly nach dem Grund fragte, hatte der alte Soldat mit einem Achselzucken gesagt: »Der König sagt, es is’ nie nich’ zivilisiert, Leichen herumhängen zu
haben.« Dann schüttelte er den Kopf und murmelte etwas über die gute alte Zeit und die gerechte Strafe für Verräter.
Hank war nur froh, dass er keine stinkenden Leichen bewachen musste, und wenn der König nicht wünschte, dass sie hängen blieben, war ihm das nur recht. Natürlich musste er den ganzen jeweiligen Tag warten, falls jemand Anspruch auf die Leichen erhob. Er hoffte sogar darauf, damit er und Snuff die Gräber nicht selbst ausheben mussten. Snuff war faul und grub nicht tief genug. Auch Hank hatte keine Lust, allzu schwer zu arbeiten, insbesondere für Verbrecher, und diese Männer waren böse gewesen. Mirweller, die dem Verräter Immerez gefolgt waren. Sie hatten mitgeholfen, Lady Estora zu entführen.
Eine kleine Zuschauermenge hatte bei der Hinrichtung zugesehen, aber laut Feldwebel Corly waren Hinrichtungen nicht mehr das, was sie einst vor Zacharias’ Herrschaft gewesen waren. Heutzutage fanden sie fast ohne Vorankündigung und vor wenig Publikum statt. Trotzdem erschien immer noch eine kleine Menschengruppe. Die Leute bespien die Verurteilten, bewarfen sie mit Steinen und beschimpften sie. Obwohl Hank echte Wut auf ihren Gesichtern sah, glaubte er nicht, dass sie die Gefangenen deshalb misshandelten, weil sie Lady Estora entführt oder irgendein anderes Verbrechen begangen hatten. Nein, dachte er, sie taten das, weil sie es konnten. Sie konnten ihre ganze Wut, ihre ganze Verbitterung über ihre Probleme und ihre Armut an den Gefangenen auslassen, die die Niedrigsten der Niedrigen waren und sich trotz aller Misshandlungen nicht wehren konnten. Zweifellos fühlten sie sich dadurch stärker, mächtiger als sonst jemals in ihrem erbärmlichen Leben. Hank sah niemals Adlige oder Wohlhabende bei den Hinrichtungen, es sei denn, der Verurteilte war einer der ihren.
Snuff schlenderte zu ihm hinüber und gab ihm einen Knuff.
»Schau«, sagte er und deutete mit dem Finger. »Vielleicht müssen wir einen weniger begraben.«
Ein alter Mann auf einem wackeligen Karren, vor den ein Maulesel gespannt war, erschien auf dem Platz. Er ging langsam, seine Schultern waren gebeugt. Als er vor ihnen stehen blieb, richtete er sich auf, und Hank musste einen Moment lang an die Bogenschützen auf den Burgmauern denken, denn seine Schultern waren breit und seine Oberarme muskulös. Aber dann fing er an zu zittern. Das hatte Hank bei seiner Großmutter auch gesehen. Manche hatten gemunkelt, dass sie von bösen Geistern besessen gewesen war, und bei diesen verhassten Erinnerungen verzerrte sich sein Gesicht. Sie war krank gewesen, das war alles.
»Ich bin gekommen, um meinen Sohn zu holen«, sagte der Mann.
»Hast einen Verräter aufgezogen, was?«, fragte Snuff.
Hank wünschte, dass Snuff die Familienmitglieder, die selten genug kamen, um ihre Toten abzuholen, nicht so quälen würde. Seiner Meinung nach hatten sie es nicht verdient, ebenfalls bestraft zu werden.
»Hier lang, Herr«, sagte Hank wesentlich höflicher. Er führte den Mann zu den drei Leichen und hob die Decke, die die erste bedeckte. Hängen war keine angenehme Todesart, und es war nicht
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