Pfad der Schatten reiter4
zum Abendessen wieder im Lager an. Auf dem Rückritt hatte sie sich Zeit gelassen, denn dies war wahrscheinlich für einige Zeit ihr letzter längerer Ritt auf Kondor. Er schien es ebenfalls zu spüren, denn als sie ihn abgeschirrt und gestriegelt hatte, legte er ihr den Kopf auf die Schulter, und sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Er seufzte tief, als sie ihn streichelte.
»Dale wird sich an meiner Stelle um dich kümmern«, sagte sie zu ihm. »Also benimm dich anständig.«
Er wedelte halbherzig mit seinem Schweif.
Es war unmöglich, Pferde über den Wall hinweg in den Schwarzschleier zu hieven, und außerdem war der Wald kein Ort für ein übergroßes Beutetier, deshalb würden Karigan und die anderen Sacorider und vermutlich auch die Eleter den Wald zu Fuß betreten. Es fühlte sich irgendwie grundverkehrt an, dass Grüne Reiter sich von ihren Pferden trennen sollten.
Am nächsten Morgen, wenn sie zur Bresche ritten, würde sie sich endgültig von Kondor verabschieden. Sie klopfte ihm auf die Flanke, hob ihre Ausrüstung auf und ging.
Beim Abendessen waren die jungen Reiter genauso ausgelassen wie immer. Yates war vermutlich mit seiner Edna zusammen, und Lynx streifte durch den Wald. Sie fand Garth, der neben Ard saß, aber keine Spur von Dale, Alton und Estral.
Als sie sich mit einer Schüssel Eintopf zu Garth und Ard setzte, sagte Ard: »Grant lässt ausrichten, wir sollen morgen vor Sonnenaufgang an der Bresche sein. Ich habe es Lynx schon vor einer Weile gesagt, bevor er wieder verschwand. Yates habe ich es mittags gesagt, als sein Mädchen wieder in die Küche musste.«
Karigan nickte und pustete auf einen Löffel voller Eintopf.
»Wo warst du den ganzen Tag?«, fragte Ard.
»Ich bin geritten.«
»Geritten? Wohin denn?«
»Nach Osten.« Aus irgendeinem Grund war es ihr lästig, dass er so genau nachfragte. In ihren Augen war ihr Ritt auf Kondor ihre persönliche Angelegenheit. Etwas Privates.
»Nach Osten, aha«, brummte Ard. Er drang nicht weiter in sie, aber sein Blick ruhte länger auf ihr, als ihr lieb war.
Bald erschienen Dale und Trace, gefolgt zunächst von Alton und Estral. Während des ganzen Abendessens redeten und lachten sie miteinander, und niemanden schien es zu kümmern, dass sie den ganzen Tag fort gewesen war – falls es ihnen überhaupt aufgefallen war. Alton saß zu weit von ihr entfernt, als dass sie ein Gespräch mit ihm hätte beginnen können. Außerdem war dies ohnehin nicht der richtige Ort, über ihre persönlichen Angelegenheiten zu sprechen. Es waren zu viele Leute dabei.
»Noch immer keine Spur von den Eletern«, sagte Trace. »Was ist, wenn sie gar nicht kommen?«
Ard war anscheinend der Mann, der alle Antworten kannte, denn er antwortete: »Grant sagt, dass wir ein paar Tage warten,
und wenn sie dann immer noch nicht auftauchen, kehren wir nach Sacor-Stadt zurück.«
Karigan hatte bereits erklärt, dass die Eleter kommen würden, und sie glaubte das immer noch. Sie würden sich erst zeigen, wenn sie dazu bereit waren.
Estral quetschte sich in einen Zwischenraum zwischen Karigan und Garth, setzte sich auf die Bank und fing an zu erzählen, was an diesem Tag geschehen war.
»Es gab heiße Diskussionen darüber, wer an welchem Turm stationiert wird«, sagte sie. »Aus irgendeinem Grund schien niemand besondere Lust zu haben, am Turm von Verrücktes Blatt zu bleiben, also hat Alton sie Lose ziehen lassen.«
»Und wer hat Verrücktes Blatt gezogen?« Karigan musste zugeben, dass schon der Name Verrücktes Blatt auch in ihr nicht gerade das Verlangen weckte, dort stationiert zu werden.
»Garth.«
Karigan lachte. Kein Wunder, dass er so schweigsam über sein Essen gebeugt dasaß.
»Ich werde hier am Himmelsturm bleiben, wenn Alton und Dale die anderen besuchen.«
»Du wirst ja noch ein echter Grüner Reiter.«
»Das wohl kaum«, sagte Estral. »Ich habe genug damit zu tun, an der musikalischen Phrase aus Silberholz’ Buch zu arbeiten. Wir werden sehen, wie die Hüter darauf reagieren. Meine Aufgabe ist die Musik. Das Reiten überlasse ich gern den Grünen Reitern.«
Karigan betrachtete ihre Freundin erneut. Estral schien sich an das Leben am Wall gut angepasst zu haben, und ihre Züge wirkten lebhaft, als sie über die viele Arbeit sprach, die vor ihr lag. Estral hatte es sehr genossen, den jungen Schülern in Selium Unterricht zu erteilen, aber dies war etwas ganz anderes. In ihr war ein Leuchten, das Karigan ihres Wissens noch nie gesehen
Weitere Kostenlose Bücher