Pfad der Schatten reiter4
mehr lange.« Die beiden brachen wieder in Kichern aus. »Versuch’s mal in Altons Zelt«, schlug sie vor.
Karigan war sicher, dass sie rot geworden war, und hastete fort, doch dann ging sie langsamer, damit sie auch wirklich das richtige Zelt fand. Aufgrund seines Ranges als Erbe des fürstlichen Regenten von D’Yer war Altons Zelt etwas größer und stand etwas abseits, deshalb war es nicht schwer zu finden. Als sie darauf zuging, stellte sie fest, dass es hell erleuchtet war, und plötzlich fiel ihr wieder ein, dass Dale gemeint hatte, Estral sei vielleicht hier.
Sie näherte sich dem Zelt und hörte tatsächlich die beiden drinnen reden. Und die Silhouetten, die sich auf den Zeltwänden abzeichneten, sprachen ihre eigene Sprache.
Die beiden standen so eng zusammen, als seien sie in einer Umarmung verschmolzen.
»Wir müssen es ihr sagen«, sagte Estral. »Heute Abend noch.«
»Könntest du … könntest du es ihr nicht allein sagen? Du bist doch ihre beste Freundin.«
»Feigling. Sie muss es von uns beiden hören.«
»Ich weiß nicht, ob es eine so gute Idee ist, am Abend vor ihrer Abreise …«
»Es ist besser, dass sie über unsere Gefühle füreinander die Wahrheit erfährt«, sagte Estral.
Karigan hatte das Gefühlt, als würde sich der Boden unter ihren Füßen auftun und Himmel und Wald über ihr zusammenstürzen. Estral und Alton waren zusammen? Aber sie hatte sich gewünscht … sie hatte gehofft …
»Wie müssen es ihr sagen, jetzt sofort«, fügte Estral hinzu.
»Das ist nicht nötig«, schrie Karigan vor dem Eingang und rannte los, rannte in den Wald hinein. Sie meinte, sie hinter sich herrufen zu hören, aber sie rannte weiter, schlug Äste aus ihrem Gesicht und stolperte über Wurzeln, während das Unterholz sich in ihren Hosen verfing. Als sie die Lichter des Lagers nicht mehr sehen konnte, blieb sie keuchend stehen.
Wieso war ihr das nicht aufgefallen? War sie denn blind? Sie hatte bemerkt, dass Altons Blick am Vorabend auf Estral geruht hatte, als sie spielte, aber sie hatte gedacht, dass er lediglich die Musik genoss.
»Verflucht«, murmelte sie, ließ sich auf einen Stein sinken und vergrub ihren Kopf in den Händen.
Was hatte sie denn erwartet? Dass Alton sich ihr beim geringsten Verlangen zu Füßen warf? Aber die Briefe … Sie war selbst schuld. Es hatte sie gestört, dass er so sehr nach ihr verlangte, aber dass er jetzt einer anderen gehörte? Und noch dazu ihrer besten Freundin?
Sie begriff, dass sie kaum das Recht hatte, wütend zu sein, denn sie hatte Alton immer wieder hingehalten, ihn nicht an sich herangelassen und ihm gesagt, dass sie nur mit ihm befreundet sein wollte, aber nun war sie ganz schockiert von dem Schmerz des Verlustes und des Verrats. Nicht nur Altons Verrat, sondern auch Estrals.
Sie lachte. Es klang hart. Trace hatte Connly, Yates hatte seine Köchin, Dale hatte ihren Hauptmann, und nun hatte Alton ihre Freundin. Was blieb da für sie noch übrig?
Wen würde es kümmern, wenn sie nie mehr aus dem Schwarzschleierwald zurückkehrte? Ihren Vater und ihre Tanten,
aber das war nicht das Gleiche. Und König Zacharias? Er wäre wahrscheinlich erleichtert. Für ihn wäre es leichter, das unausweichliche Zusammenleben mit Estora zu beginnen, wenn er nicht mehr durch seine fortwährenden Gedanken an Karigan abgelenkt wurde.
Karigan aber würde bald nicht einmal mehr ihr Pferd haben.
Sie kniff die Augen zu und ärgerte sich nun über ihr Selbstmitleid, aber sie hatte sich nie zuvor so allein gefühlt. Der König konnte ihr nie gehören, und nun war auch Alton für sie unerreichbar. In solchen Zeiten sehnte sie sich nach dem Verständnis und der Umarmung ihrer Mutter.
Ihre Mutter war zwar nicht mehr am Leben, aber sie hatte ihren Mondstein. Sie zog ihn aus der Tasche, und er tauchte ihre Umgebung in die Essenz eines silbernen Mondes, der auf die Erde herabgesunken war.
Wie zur Antwort erwachten ringsum andere Mondsteine zu einem schimmernden Leben.
Eine strahlende weiße Gestalt trat zwischen den Bäumen hervor und blieb vor ihr stehen. Als Karigans Augen sich an die intensive Helligkeit gewöhnt hatten, wurde die Gestalt zu einer Eleterin in einer weißen Rüstung.
ESTRAL UND ALTON
»Grae«, murmelte Karigan.
»Galadheon«, antwortete die Eleterin. Sie sah genau so aus, wie Karigan sie in Erinnerung hatte: das flachsblonde Haar geflochten und die Zöpfe zu Schlaufen hochgebunden, in die schneeweiße Federn eingeflochten waren. Karigan wurde
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