Pfad der Schatten reiter4
hatte, die den Wall betrafen. Doch der Eleter antwortete nicht.
Graelalea blieb stehen, und vor ihnen lag ein zierlicher Brückenbogen, der den Bach überspannte. In Karigans Augen schien er fast so dünn wie Papier, völlig anders als alle Brücken, die sie bisher gesehen hatte, und es gab weder Keilstein noch Schlussstein, weder Bogenwinkel noch Wangenmauer, nur den Fußsteig selbst, unwirklich und beredt in seiner Einfachheit. Er war mit einem Moosteppich bedeckt und ringsum von
Moos umgeben, weshalb man unmöglich feststellen konnte, wie er gebaut worden war, aber wenn er aus Stein bestand, überstieg er sogar die legendäre Steinmetzkunst der D’Yer.
»Telavalieth liegt auf der anderen Seite des Baches«, sagte Graelalea. »Beziehungsweise das, was davon übrig ist.« Ohne ein weiteres Wort betrat sie die Brücke.
Karigan erwartete, dass die Brücke, die so zerbrechlich aussah und dem Zahn der Zeit über Jahrhunderte ausgesetzt gewesen war, einstürzen würde, aber sie hielt stand. Die übrigen folgten, und als Karigan den höchsten Punkt des Bogens erreichte, war sie froh, dass es die Brücke noch gab, denn sie hätte den Bach ungern durchwatet. Er war breiig und stank nach Moder, und etliche glitzernde, schlangenartige, kaum erkennbare Wesen schienen das stehende Wasser aufzuschlürfen. Sie hastete den restlichen Weg zum anderen Ufer hinüber.
»Was, glaubst du, war das da im Wasser?«, flüsterte sie Yates zu.
»Ich habe nichts gesehen«, antwortete er stirnrunzelnd.
Sie schleppten sich weiter, und bald entdeckte Karigan weiter vorn eine Lichtung, ein helleres Grau. Die Eleter fingen an zu rennen. Die Sacorider zögerten einen Moment und folgten dann den Eletern. Als sie die Lichtung erreicht hatten, hielten sie an. Es sah aus, als wäre hier irgendetwas eingedrungen, das den Waldboden bis zu seinem felsigen Grund abgekratzt hatte. Nichts wuchs hier, nicht einmal das allgegenwärtige Moos und die Flechten, aber dennoch sah die Lichtung nicht aus, als wäre sie erst kürzlich entstanden. Der Felsboden war sogar glatt, wie zusammengeschmolzen. Welche Macht konnte so etwas bei Granit bewirken?
Am Rand der Lichtung standen zerfallene Gebäude, um die sich Baumwurzeln schlangen; die Bäume schienen sie im Lauf der Jahre allmählich zerquetschen zu wollen.
»Götter«, murmelte Ard.
Spiney fiel auf die Knie und stieß ein klagendes Geheul aus, so durchdringend, dass Karigan zurücktaumelte. Die anderen Eleter senkten die Köpfe. Alles im Wald verstummte.
»Was ist los?«, herrschte Grant sie an.
»Telavalieth barg einen kleinen Hain für seine Schläfer«, antwortete Lhean. »Wir stehen darin.«
»Schläfer? Was meint Ihr mit Schläfern? Und was für ein Hain? Was ist damit passiert?«
»Wenn unser Volk der wachen Welt müde wird, dann verlassen wir sie und gehen in den langen Schlaf, und wir werden zu den Herzen großer Bäume, bis wir erneut für die Welt bereit sind.«
Karigan erinnerte sich, dass der eletische Fürst Jametari ihr das erklärt hatte. Wäre ihr Leben so endlos gewesen wie das der Eleter, würde sie sich wahrscheinlich auch nach einer Ruhepause sehnen.
»Euer Volk wird zu Bäumen?« Grant war skeptisch.
»Nein«, sagte Lhean mit einer gewissen gereizten Schärfe in der Stimme.
Inzwischen hatte sich Spiney auf dem Boden ausgestreckt. Er war völlig still geworden.
»Lhean«, sagte Karigan leise und deutete auf ihn, »ist mit ihm alles in Ordnung?«
»Ealdaen ist aus Argenthyne. Möglicherweise kannte er jemanden, der hier wohnte.«
Ealdaen . Spiney hatte also einen Namen, und wenn er aus Argenthyne stammte, dann musste er vor über einem Jahrtausend geflohen sein, vor Mornhavons Eroberung …
»Was ist mit diesem Hain passiert?«, fragte Ard.
Spiney – Ealdaen – stand auf und wandte seinen flammenden Blick Ard zu. »Mornhavon seak mortes.« Damit ging er weg.
Ard kratzte sich den Kopf. »Was hat er gesagt?«
»›Mornhavon hat ihn getötet‹«, antwortete Karigan und war selbst überrascht, die Worte aus ihrem Mund zu hören.
Alle schauten sie scharf an.
»Ich wusste nicht, dass Sie Eletisch sprechen«, sagte Grant vorwurfsvoll.
»Ich … ich spreche kein Eletisch. Sein Tonfall hat es deutlich genug gesagt. Und der Beweis dafür liegt unter unseren Füßen.«
»Sie hat recht«, sagte Graelalea und deutete auf einen zusammengeschmolzenen Felsen. »Mornhavon hat den Hain mit seiner Macht zerstört, und zwar so gründlich, dass er nie wieder Wurzeln schlagen
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