Pfad der Schatten reiter4
Dienst, weil ich dem gesetzlich verankerten Protokoll folgen wollte?«, fragte sie, und ihr sanfter Tonfall machte ihre Verachtung nur noch deutlicher.
»Darüber habe ich nicht zu entscheiden«, antwortete Colin. »Die Entscheidung obliegt der Königin. Natürlich hoffen wir, dass sie Ihnen ihr Vertrauen aussprechen wird, und dass Sie das, was geschehen ist, akzeptieren werden.«
»Gute Götter«, brummte Elgin. »Es ist alles genau wie im Fall Gwyer Warhein.«
»Das war eine andere Zeit und eine andere Situation«, widersprach Colin.
Laren fragte sich, ob es wirklich so anders gewesen war. Gwyer Warhein war vor zweihundert Jahren Hauptmann der Reiter gewesen, und sein König, der paranoide Agates Seeländer, hatte ihn aufgrund des abscheuliches Verbrechens seiner Ehrlichkeit zum Schurken abgestempelt, nur weil Gwyer die Wahrheit über den König und seine Regierung gesagt hatte, die dieser nicht hatte hören wollen. Warhein war ein Ehrlichkeitsleser gewesen, genau wie Laren – sie trug seine Brosche. Sie war nach vielen Reitergenerationen zu ihr gekommen, sie
hatte sie erwählt . Jetzt betastete sie sie, das glatte Gold, das sich unter ihren Fingern kühl anfühlte. Sie legte den Kopf schief und betrachtete Colin.
Sie hatte lange genug mit ihm zusammengearbeitet, um zu wissen, dass er kein Idiot war, ganz im Gegenteil, und dass er in der Geschichte des Reiches sehr bewandert war. Auch wenn er es noch so vehement abstritt, war er sich der Parallelen mit der Vergangenheit bewusst – nicht nur, weil Laren Tatsachen aussprach, die er geheim halten wollte, sondern er wusste auch, wie Warheins treue Reiter zu ihm gehalten und ihn trotz der Androhung königlicher Vergeltungsmaßnahmen ins Exil begleitet hatten. Colin und seine Mitverschwörer waren bestimmt zu dem Schluss gekommen, dass Larens Reiter sich ihr gegenüber genauso verhalten würden. Würde man sie in irgendeiner Form zum Schweigen bringen, die drastischer war als eine vorübergehende Dienstenthebung, würde der Zorn ihrer Reiter geweckt und die Verschwörer konnten es sich nicht leisten, sie zu verlieren, denn ohne sie konnten sie nicht funktionieren.
Das alles bedeutete jedoch nicht, dass die Verschwörer nicht ohne zu zögern alles tun würden, was nötig und zweckdienlich war, um sie zum Schweigen zu bringen, falls sie zu viele Schwierigkeiten machte, überlegte Laren.
Trotz der potenziellen Gefahr, in der sie schwebte, konnte sie ein Lächeln nicht unterdrücken, worauf sich die Falte zwischen Colins Augenbrauen vertiefte.
»Heute gilt Gwyer Warhein als Held«, murmelte sie vor sich hin. Er hatte nicht nur einem Tyrannen die Stirn geboten, indem er die Wahrheit sagte, sondern als der alte Agates unbeweint und ohne Erben starb und das Reich im Chaos der Klankriege versank, hatten Warhein und seine Reiter Smidhe Hillander zum Sieg verholfen und dadurch Zacharias’ Blutlinie auf den Thron gebracht, worauf zwei Jahrhunderte des
Friedens und der Einigkeit folgten. Colin wusste das alles ganz genau. Er konnte nicht handeln, ohne an die historischen Konsequenzen zu denken.
Laren straffte ihre Schultern und richtete sich kerzengerade auf. Nie zuvor war sie so stolz auf ihr Reitererbe und die Brosche, die sie trug, gewesen. »Gwyer Warhein unterstützte den Hillander Klan«, sagte sie. »Und ich habe das Gleiche getan. Und das werde ich auch weiterhin tun.«
»So sei es denn«, antwortete Colin. »Wir sollten die Königin nicht warten lassen.« Er ging zur Schlafzimmertür voraus und öffnete sie für Laren, stellte sich aber Elgin in den Weg.
»Es ist schon gut«, sagte sie zu ihrem alten Freund, und dann betrat sie den Raum, um ihrer neuen Königin gegenüberzutreten.
ENTSCHEIDUNGEN
Sonnenlicht flutete in den Raum, genau wie beim letzten Mal, als Laren hier gewesen war. Estora stand im Zimmer und sprach mit einem Heiler. In dem Licht sah ihre Haut aus wie bleicher Marmor, und ihre Trauerkleidung wirkte grau. Laren blinzelte, als stünde sie einer sehr lebensechten Statue gegenüber. Dann wandte sich Estora zu ihr um. In dem Kronendiadem, das sie trug, funkelten Edelsteine. Laren hatte diese Krone zuletzt auf dem Haupt von Königin Isen gesehen, als diese zu ihrem Staatsbegräbnis aufgebahrt gewesen war.
Estora schickte den Heiler fort und trat näher. Laren sank auf die Knie und neigte den Kopf.
»Stehen Sie auf, Hauptmann«, sagte Estora.
Als Laren sich aufgerichtet hatte, standen die beiden sich gegenüber und sahen einander ruhig an.
Weitere Kostenlose Bücher