Pfad der Schatten reiter4
dich, weil er weiß, wie gefährlich deine Arbeit sein kann.«
Als Karigan ihrer Berufung zur Reiterin endlich gefolgt war, hatte sie ihnen erklären müssen, warum sie ihr Zuhause verlassen musste, um eine Botin des Königs zu werden, warum sie nach Sacor-Stadt ziehen musste. Sie hatte erklären müssen, warum sie nicht eine ganz normale Kaufmannstochter sein konnte, die mit ihrem Vater zusammenarbeitete, heiratete und Erben hervorbrachte, die die Blutlinie fortsetzen würden. Wie sie es vorausgesehen hatte, war ihre Familie ganz erschüttet von ihren Offenbarungen gewesen, besonders ihr Vater.
»Ich weiß, dass er Magie ablehnt«, sagte Karigan, »aber so habe ich ihn noch nie gesehen.«
»In unserer Erziehung wurde großer Nachdruck darauf gelegt, Magie als etwas Böses zu betrachten«, antwortete Tante Stace. »Unser Vater war in dem Punkt sehr streng, und an jedem Ruhetag mussten wir dem Mondpriester mit seinen Tiraden gegen das Böse der alten Zeiten zuhören. Er predigte, dass jegliche Magie, falls sie jemals wieder auf Erden auftreten sollte, vernichtet werden müsste, und auch alle Menschen mit der Fähigkeit, sie auszuüben.«
Genau wegen dieser irrationalen Angst und Engstirnigkeit verheimlichten die Grünen Reiter ihre bescheidenen magischen Fähigkeiten. Wie würden ihre Mitbürger reagieren, wenn sie erfuhren, dass der König Menschen in seinen Dienst aufnahm, die Magie ausübten? Wie sollten sie dem König oder seinen Boten jemals wieder verrauen?
»Unser Vater«, fuhr Tante Stace fort, »war in seinem Glauben besonders kompromisslos und benutzte oft die Rute,
wenn einer von uns das Wort Magie auch nur erwähnte. Wir wussten nur, dass sie widerlich und korrupt war.«
»Und natürlich«, warf Tante Brini ein, ihren Blick auf ihre Näharbeit konzentriert, »verliebte sich Stevic ausgerechnet in Kariny Gray.«
»Was hat sie damit zu tun?«, wollte Karigan wissen und wandte sich Tante Stace zu. »Du hast Vater aufgefordert, mir von ihr zu erzählen.«
»Ja, das stimmt. Und da er es schon wieder vorgezogen hat, hinaus in den Schnee zu rennen, denke ich, dass statt seiner wir dir von ihr erzählen sollten.« Ihre Schwestern stimmten ihr murmelnd zu.
»Die Familie deiner Mutter«, begann Tante Brini, »galt bei den Inselbewohnern immer als ein wenig …«, ihre Stimme sank zu einem Flüstern, »hellseherisch «.
»Unheimlich«, fügte Tante Tory hinzu.
»Nur ein bisschen«, betonte Tante Stace. »Weißt du, es gab nicht viele schriftliche Chroniken auf der Schwarzen Insel, aber dafür eine Menge mündliche Überlieferungen, die durch die Generationen weitergegeben wurden, und dann wurde über Dinge, die vor einem Jahrhundert geschehen waren, so geredet, als seien sie erst gestern passiert. Von deiner Urururgroßmutter hieß es zum Beispiel, sie habe sich mit Fischern unterhalten, die niemals zurückgekehrt waren.«
»Mit ihren Geistern«, unterbrach Tante Tory erregt. »Angeblich kamen sie in nebligen Nächten an Land. Sie sollen nach Meer gerochen haben, und sie stöhnten wie der Wind, und an ihren Füßen haftete Seetang!«
»Tory!«, schnappte Tante Stace streng, und ihre Schwester verstummte. Verärgert wandte sie sich wieder an Karigan. »Merkst du, wie diese Geschichten ausgeschmückt werden?«
Nach den Erfahrungen, die Karigan selbst mit den Geistern der Toten gemacht hatte, konnte sie Tante Torys Beschreibung
nicht ohne Weiteres abtun, aber dennoch nickte sie nur.
»Es gab auch noch andere in der Familie deiner Mutter«, sagte Tante Stace, »die als ungewöhnlich wissend galten.«
»Ungewöhnlich wissend?«
Alle vier Tanten nickten.
»Sie wussten Dinge, die jenseits normaler Kenntnisse lagen«, erklärte Tante Gretta. »Über das Wetter, den Fischfang und das Leben der Leute. Die Zukunft.«
»Deine Mutter«, sagte Tante Brini und sah von ihrer Näharbeit auf, »lachte immer, wenn sie solches Gerede hörte, und sagte, das seien lediglich Geschichten. Sie war eine sehr pragmatische Frau, sie stand mit beiden Füßen auf dem Boden, abgesehen von ihrer Angewohnheit, in der Nacht auszureiten, wie Stace dir schon erzählt hat. Natürlich haben wir alle unsere absurden Gewohnheiten, zum Beispiel muss Gretta ihr Bett immer mindestens dreimal machen, bevor sie zufrieden ist.«
»Das ist nicht wahr!«
»Ha, und ob! Ich habe mitgezählt.«
»Na gut, aber du isst immer alle Gerichte auf deinem Teller einzeln«, sagte Tante Gretta.
Tante Brini schnaubte und schob ihre Nadel heftig durch
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