Pfad der Schatten reiter4
nach Hause zu kommen, obwohl sie nicht wusste, wie sie sich diesem Auftrag hätte entziehen sollen, den ihr der Hauptmann persönlich erteilt hatte. Sie hatte hier lediglich Streit vom Zaun gebrochen. Weder das Bordell, noch die Vergangenheit ihres Vaters als Pirat schienen jetzt noch wichtig zu sein.
Dann fiel ihr ein, dass sie nicht ohne eine Antwort ihres Vaters auf die Botschaft Hauptmann Mebstones aufbrechen konnte. Das bedeutete eine weitere Konfrontation, aber zumindest würde sie diesmal die Botin des Königs sein und nicht seine Tochter.
Gerade als Karigan beschlossen hatte, so bald wie möglich aufzubrechen, öffnete sich die Küchentür, und ihr Vater kam herein, gefolgt von einem kalten Luftzug. »Ich habe den Pferdeschlitten angespannt«, sagte er. »Hol dir einen Mantel. Wir fahren in die Stadt.«
DER PFEILWIESENWEG
Karigan hüllte sich in einen alten Wollmantel, wickelte sich den Schal um den Hals, den Tante Brini ihr aufgedrängt hatte, und zog dicke Fäustlinge an. Im Schlitten lagen eine raue, dicke Decke, die sie und ihr Vater sich über die Beine legen konnten, und außerdem mehrere vom Meer glatt geschliffene Steine, die im Herdfeuer erhitzt worden waren, um ihre Füße zu wärmen.
Ihr Vater nahm die Zügel und die Kutschpeitsche, schnalzte als Signal für die Pferde Roy und Birdy mit der Zunge, und der Schlitten setzte sich in Bewegung. Die Sonne hatte die Wolken durchbrochen, und Schnee taumelte von den Ästen der Tannen herab, als sie die Einfahrt hinunterglitten.
Die Luft war milder, nicht mehr so bitterkalt, und das Zwitschern der Vögel erinnerte Karigan daran, dass der härteste Teil des Winters nun vorbei war und der Frühling bald kommen würde.
»Warum fahren wir in die Stadt?«, fragte Karigan.
»Das wirst du schon sehen.«
Etwas irritiert kuschelte sich Karigan unter die Decke. Trotzdem sagte sie nichts weiter, denn sie wusste, dass ihr Vater ihr sein Vorhaben preisgeben würde, sobald er es für richtig hielt, und keinen Augenblick früher, egal, wie sehr sie auch in ihn drang. Also schwieg sie, während die Pferde in stetigem Rhythmus durch die Schneewehen trabten und ihr Geschirr fröhlich klimperte.
Das Anwesen der G’ladheons lag im Umland von Corsa, und als sie auf die Hauptstraße stießen, erhöhte sich ihr Tempo, denn die Straßenwärter hatten bereits die Schneewehen beseitigt und den Schnee auf dem Boden fest zusammengepresst. Solche Dienste waren im Reich dünn gesät, aber Corsa florierte, und die Stadtoberhäupter kümmerten sich nicht nur um den Hafen, sondern auch um die Straßen, denn sie wussten, dass der Handel sich zwar größtenteils im Hafenviertel abspielte, dass die Güter aber trotzdem über Land transportiert werden mussten. Sie waren der Meinung, eine sorgfältige Pflege der Straßen würde den Wohlstand der Stadt unterstützen und ihren Ruf als führenden Handelshafen des ganzen Gebiets stärken.
Bald lichteten sich die Wälder und gaben den Blick auf Felder und Weiden frei. Der Schnee lag glatt und unbefleckt wie dicker Rahm über der Landschaft, unterbrochen nur von den gewundenen Spuren von Hasen und Füchsen. Die Häuser wurden häufiger, als sie sich Corsa näherten. Karigan spürte nun auch die Nähe des Meeres, dessen feuchter Duft in der Luft lag. Und immer noch schwieg ihr Vater. Er saß nur da, dirigierte sanft die Pferde und hatte seinen Blick fest auf die Straße geheftet.
Im Stadtgebiet von Corsa säumten Wohnhäuser und Läden die Straßen zu beiden Seiten, und überall schaufelten Leute den Schnee von ihren Eingangsstufen. Kinder spielten auf der Straße und bewarfen sich gegenseitig mit Schneebällen, und einige Bewohner kämpften sich beim Einkaufen mit vorsichtigen Schritten vorwärts.
Ihr Vater brachte den Schlitten vor dem Laden eines Geflügelhändlers zum Stehen, in dessen Schaufenster gerupfte Hühner, Gänse und Truthähne auslagen.
»Ich bin gleich zurück«, sagte er. Er sprang vom Schlitten, ging in den Laden und kam ein paar Minuten später mit einem
großen, bratfertigen Truthahn zurück, den er hinten in den Schlitten legte.
Vor anderen Läden ließ er sie erneut warten und kehrte mit einem großen Käselaib, einem Sack Mehl, einem Krug Melasse, einem kleinen Fass Butter und anderen Lebensmitteln zurück. Karigan sah erstaunt zu, wie sich der hintere Teil des Schlittens mit Waren füllte. Sie hätte nicht gedacht, dass die Vorratskammer der Köchin so leer war.
»Was soll …?«, begann sie zu fragen, als er
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