Pfad der Schatten reiter4
Gedanken gehört, sagte Laurelyn: Die Brücke wird dich zu einer Insel führen, die an einem Übergangsort liegt. Ich glaube, du bist schon dort gewesen?
Ihre Worte bestätigten Karigans Befürchtungen. Die weiße Welt. Sie seufzte und nickte.
Gut. Dann weißt du, dass du dich dort nicht ablenken lassen darfst. Als Karigan erneut nickte, fuhr Laurelyn fort: Die Insel ist klein, noch kleiner als die Kammer im Schloss, in der du mich gefunden hast. Dort wirst du eine zweite Brücke finden, die weniger kurzlebig ist. Du wirst die Schläfer hinüber nach Eletien führen, in einen Hain.
»Nach Eletien? Wirklich?«
Laurelyn lächelte wieder. Wirklich. Aber ich muss dich warnen: Ich weiß nicht, ob die eletische Zeit diesem Zeitmaß entsprechen wird. Falls du dort jemandem begegnest, lässt sich schwer voraussehen, wie man auf dich reagieren wird, denn sie dulden keine Eindringlinge. Sobald sie sehen, dass Schläfer aus Argenthyne dich begleiten, werden sie dich bestimmt akzeptieren.
Falls sie sie nicht vorher umbrachten. »Werden die Schläfer mir denn folgen?«
Ja, denn auf dir liegt das Licht des Silbermondes. Manche würden sagen, dass Laurelyn dich berührt hat. Wenn ich die Schläfer wecke, werden sie nicht ganz aufwachen und eher Schlafwandlern ähneln, und sie werden tun, was du ihnen befiehlst,
nämlich, dir zu folgen. Wenn sie in dem Hain in Eletien ankommen, werden einige vielleicht ganz erwachen. Andere werden einfach von dem einen oder anderen Baum angezogen werden und ihren langen Schlaf dort fortsetzen.
Es klang wirklich ganz einfach. Zu einfach. In der weißen Welt war nichts einfach.
»Warum könnt Ihr die Schläfer nicht selbst führen?«, fragte Karigan.
Ich existiere nicht mehr außerhalb des Haines. Du, Tochter Karinys, bist diejenige, die die Schwellen überschreiten kann.
Karigan seufzte.
Du musst die ganze Zeit über deine Fähigkeit aufrechterhalten , unterwies Laurelyn sie, sonst ist alles verloren. Sobald du sicher in Eletien angekommen bist, kannst du sie fallen lassen; du wirst dann in deine Gegenwart zurückgebracht, aber innerhalb von Eletien sein. Oder du kannst deine Fähigkeit so lange ausüben, bis du wieder hier bist. Eine Weile kann ich die Brücke erhalten.
»Meine Gefährten …« Sie schluckte schwer. An diesem Ort und in dieser Zeit hätte sie sie beinah vergessen. Sie schloss die Augen. Bestimmt hatte keiner von ihnen überlebt, aber Laurelyn hatte gesagt, sie könnte zukünftige Schicksale verändern …
Dann verstand Karigan plötzlich. »Wenn ich das tue, dann wird es keine Schläfer geben … jedenfalls keine korrumpierten Schläfer, die meine Gefährten in der Gegenwart angreifen, denn ich werde die Schläfer bereits in der Vergangenheit weggeführt haben.« Ihr drehte sich alles im Kopf, aber es lag eine gewisse Logik darin.
Laurelyn nickte. Aber du sollst wissen, dass es mir nicht gelungen ist, den ganzen Hain zu bewahren. In den vielen Jahren, während ich auf dich wartete, hat meine Macht abgenommen, und die Ränder des Hains sind meinem Schutz entglitten,
deshalb werden deine Kameraden trotzdem noch viele Feinde bekämpfen müssen.
»Aber ihre Chancen stehen besser, wenn sie nicht gegen alle kämpfen müssen«, murmelte Karigan.
Du musst außerdem wissen, dass es mir nicht gelungen ist, die Schläfer in den anderen Hainen von Argenthyne zu bewahren. Ich fürchte, dass auch sie eines Tages eine Bedrohung für dein Volk darstellen werden.
»Mornhavon hat den Hain in Telavalieth zerstört«, sagte Karigan.
Dann bete, dass das Gleiche auch in den anderen Hainen geschehen ist. Nun musst du dich auf den Weg machen, Tochter Karinys, denn je mehr Zeit verstreicht, desto weniger Kraft bleibt mir. Zuerst die Brücke.
Laurelyn erhob ihre Hände zum Mond, und ihre Handflächen füllten sich mit Licht. Dann schleuderte sie das Licht von sich, und es strahlte als großer Bogen, der die Wälder überspannte.
Mondstrahlen? »Das … das ist die Brücke?«, fragte Karigan entgeistert.
Hab keine Angst. Sie wird dich tragen und die Schläfer ebenfalls.
Laurelyn fing an zu singen, ein melodisches Lied ohne Worte, unirdisch und anders als alles, was Karigan jemals gehört hatte. Sie zitterte. Laurelyns Stimme wurde lauter und durchdrang den ganzen Hain, schwebte zwischen den Bäumen hindurch und berührte die Wipfel.
Hinter den Bäumen traten Gestalten hervor und kamen auf sie zu, als würden sie träumen und ihre Umgebung gar nicht wahrnehmen. Dies waren nicht
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