Pfad der Schatten reiter4
Dort entdeckte er nicht nur seine Schwestern, sondern auch Karigan, die bei Törtchen und Tee saß und plauderte. Die Köchin stand am Feuer und drehte eine Gans am Spieß. Als er eintrat, wandten sich alle wie ein einziges Wesen ihm zu.
Warum war Karigan nicht zuerst zu ihm gekommen? Er merkte, dass er deshalb ein wenig verletzt war.
»Höchste Zeit, dass du dich zu uns gesellst, Stevic«, sagte Stace.
»Ich habe auf Karigan gewartet.«
»Was? Du hast tatsächlich von uns erwartet, dass wir sie
mit nassen Haaren in diesen eisigen Schuppen gehen lassen, den du Büro nennst? Sie hätte sich eine Lungenentzündung geholt. Sie lässt ihre Haare hier trocknen, wo es warm ist.«
Stevic sah Karigan an, die nun Zivilkleidung und einen Wollschal trug und stellte fest, dass ihre Haare tatsächlich noch feucht waren. Er seufzte erleichtert. Er hatte die kurze, nagende Befürchtung gehabt, dass sie ihm aus irgendeinem Grund aus dem Weg ging, aber das war absurd. Welchen Grund hätte sie dazu gehabt? Dennoch fragte er sich, warum ihn nicht zumindest jemand informiert hatte, dass sie mit ihrem Bad fertig war.
»Ich wusste nicht, ob ich auch eingeladen war.«
»Du lieber Himmel«, sagte Brini. »Als ob das nicht dein eigenes Haus wäre.«
»Manchmal bin ich mir dessen nicht so sicher.«
Brini stieß einen ungeduldigen Laut aus und brachte ihm eine Teetasse, aber sie schenkte ihm nicht ein. Er lächelte halb und zog sich einen Stuhl an den Tisch. Alle seine Schwestern waren älter als er, Stace war die älteste, und alle waren ledig und hatten offenbar wenig Lust, sich zu verheiraten. Warum sollten sie auch, da sie bei ihm ein relativ luxuriöses Leben führen konnten?
Nachdem sie nach Corsa gekommen waren, um unter seinem Dach zu leben, hatten sie ihre etwas rückständigen Inselgewohnheiten mit der Zeit abgelegt, aber ihr Pragmatismus war geblieben, und auch ihre unverblümte Art, mit ihrem kleinen Bruder umzugehen. Genau wie in ihrer Kindheit stand es oft vier gegen einen, wenn irgendein Streit ausbrach. Zumindest setzten sie sich jetzt nicht mehr alle auf ihn drauf, um ihn zu zwingen, sich ihren Wünschen zu beugen.
Obwohl er sich von Zeit zu Zeit gegängelt fühlte, war Stevic dankbar, dass sie ihm zu Hilfe gekommen waren, als Kariny starb. Karigan war noch so klein gewesen, und er hatte sich
völlig verloren gefühlt. Sie hatten sich mit mütterlicher Fürsorge um Karigan gekümmert und ihn auch entlastet, wenn seine Trauer zu groß wurde, dass er sich um seine Geschäfte kümmern konnte. Sie hatten Karigan aufgezogen, während er Geschäftsreisen unternahm. Während er lange unterwegs war, um seinem Schmerz zu entfliehen.
Ja, er verdankte seinen Schwestern viel. Er griff zur Teekanne und füllte seine Tasse.
»Karigan ist zu mager«, bemerkte Gretta. »Ich halte nicht viel von dieser Frau Reiterhauptmann, wenn sie ihre Mannschaft nicht anständig ernähren kann. Nun sieh mich bloß nicht so an, junge Dame!«
Stevic betrachtete seine Tochter und fand nicht, dass sie so verhungert aussah, wie Gretta behauptete. Karigans Haar hing lang und lose herunter und hatte inzwischen eine komische Tolle bekommen, aber im Grunde genommen sah sie unverändert aus. Unverändert, aber jetzt, da er darüber nachdachte, wirkte sie doch irgendwie anders. Irgendetwas war mit ihren Augen geschehen. Er konnte es nicht genau definieren und runzelte die Stirn.
»Also, was führt dich nach Hause?«, fragte Stevic. »Wenn wir gewusst hätten, dass du kommst, hätten wir dein Zimmer hergerichtet.«
»Es tut mir leid«, antwortete Karigan. »Eigentlich bin ich mit Botschaften unterwegs.«
Also hat sie doch eine Aufgabe zu erfüllen, dachte Stevic enttäuscht.
Karigan lächelte. »Allerdings werde ich wegen dieses Wetters einige Tage lang nicht weiterreiten können.«
Wie um ihre Worte zu bestätigen, erzitterte das ganze Haus unter einem erneuten Windstoß. Stevic schickte ein rasches Gebet gen Himmel, dass der Sturm nicht allzu schnell vorbeiziehen möge, damit Karigan noch einen oder zwei Tage länger
zu Hause festgehalten wurde. Nicht, dass er an die Götter glaubte, aber es konnte ja trotzdem nicht schaden, sie zu bitten, oder? Er hatte sie so vermisst!
»Ist es dir gut ergangen?«, fragte er.
»Na klar«, meinte sie und griff hinter sich nach der Botentasche, die über ihrem Stuhlrücken hing.
»Wie steht es?«, bohrte er weiter. »Sie nehmen dich nicht zu hart heran, oder?«
»Waffentraining ist kein Honigschlecken«,
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