Pfad der Seelen
dem von Kauz, dem Seemann von der Frances Ormund. » Vor neun Tagen.« » Vor drei Tagen.« Wir holten auf.
» Wie ist die Lady gereist?«, fragte ich in jener ersten Nacht. » Und wer war bei ihr?«
» Auf einem Esel ist sie gekommen«, erzählte mir eine alte Frau. Aber als ich genauer hinsah, fiel mir auf, dass sie überhaupt nicht alt war. Gebeugt, mit hängendem Bauch und Zahnlücken, hatte sie trotzdem noch keine Falten um die Augen. Diese Frau war jünger als Lady Margaret, jünger als die Königin, nicht älter als höchstens dreißig Jahre. Ihr Lächeln war freundlich.
» Wer war bei der Lady?« Mein Magen verkrampfte sich.
» Ihr Diener. Um sie zum Anwesen ihres Vetters zu bringen, über die Berge.«
Maggie war darauf bedacht, mich nicht anzusehen. Ehe ich reagieren konnte, sagte die Frau: » Alt sah er aus für eine solche Reise. Durchaus rüstig, aber alt.« Sie, die niemals einen Diener gehabt oder eine Dienerin gewesen war, schüttelte über die Gepflogenheiten der Ladys, Lords und ihres Gefolges den Kopf.
Alt. Wer war er? Und das » Anwesen« welches » Vetters« – ich hatte nie gehört, dass Cecilia einen Verwandten in den Unbeanspruchten Landen hatte, und auch nicht, dass jener » Vetter« ein Anwesen besaß. Obwohl sich der Großteil dieser Bergleute niemals mehr als ein paar Meilen von ihren Häusern entfernte, sodass » über die Berge« auch ihre Bezeichnung für jeden anderen Ort sein konnte, der weiter weg und ihnen unbekannt war.
In den nächsten Tagen, in Häusern, die sogar noch ärmlicher und in noch höheren Bergmulden gelegen waren, erfuhr ich mehr. Cecilia und ihr Diener hatten dort übernachtet. Die Lady hatte müde und abgekämpft gewirkt, ihr Diener sehr alt. Nein, behauptete die nächste Familie, die uns Unterkunft gab, er war nicht ihr Diener, er war ihr Vetter, der sie zu seinem Gehöft brachte. Nein, sagten die Nächsten, in diesen Bergen würde es keine » Anwesen« geben – war ich etwa ein Narr? Auch gab es hier keine » Ladys«. Die Frau, die in ein einfaches Wollgewand gekleidet gewesen war, und ihr Onkel waren auf dem Weg nach Hause, irgendwo in der Nähe der Grenze. Als er das sagte, konnte mir der Mann nicht in die Augen schauen.
» Welcher Grenze?«
Aber der Mann wandte sich ab und starrte ins Feuer, das Gesicht verfinstert.
Zur letzten Ortschaft, der ärmlichsten bisher, gelangte man, wenn man von ihrem nächsten Nachbarn aus noch ein beträchtliches Stück die Straße entlangging. Offensichtlich schien der Weg hier zu enden. Es gab nur eine grobe Hütte, die in einer Bergkuhle stand, neben einem hohen, dünnen, kalten Wasserfall. Eine stille Familie – die Eltern und vier zerlumpte Kinder – drängte sich in einem einzigen, zugigen Zimmer zusammen. Niemand wollte mir auch nur auf meine Fragen antworten. Als ich sie wiederholte, sagte der Mann, ich solle den Mund halten. Maggie und ich schliefen in dieser Nacht im Ziegenstall.
Am Morgen brachte uns eines der Kinder zwei kleine Brotlaibe. In den Unbeanspruchten Landen war Gastfreundschaft sozusagen Gesetz, und selbst unwillkommene, allzu neugierige Gäste mussten versorgt werden. Das Brot war hart und sauer, das Kind zerlumpt und barfuß. Irgendeine Art von Pilz wuchs auf einem seiner schwieligen Füße, zwischen den Zehen und oben darauf. Es roch nicht gut. Ich packte es am knochigen Handgelenk.
» Ich habe etwas für dich.«
» Lass Jee los!«
» Jee, ich habe etwas Schönes für dich.« Mit meiner freien Hand zog ich eine geschnitzte Weidenflöte aus der Tasche. Ich hatte sie eines Nachts am Lagerfeuer neben einem kleinen Bach gemacht, wo Weiden gewachsen waren. Ich blies vorsichtig hinein, und eine einzelne Note ertönte.
Jee starrte. Es war klar, dass er noch nie so etwas gesehen hatte. Er wollte es unbedingt haben. Ich sagte: » Du kannst es haben, wenn du meine Fragen beantwortest. Was ist das für eine Grenze?«
Einen langen Augenblick dachte ich, er würde mir nicht antworten. Sein kleines Gesicht verzog sich schrecklich, er griff nach unten, um über den Pilz an seinem Fuß zu kratzen, aber sein Blick blieb auf die Flöte gerichtet. Gier siegte schließlich über Angst. Er krächzte: » Zum verfluchten Land.«
Das Seelenrankenmoor. » Wo ist diese Grenze?«
» Nach Osten hin.«
» Wie weit?«
» Einen Tagesmarsch.«
» Und die Lady … Frau, meine ich …«
» Hemfree bringt Cecilia nach Hause.«
Maggie schnappte nach Luft; sie war wach und hatte zugehört. In meiner Überraschung
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