Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Florence den Abdruck gefunden hatte.
Heim. Wann hatte sie begonnen, von Harrington House als Heim zu denken? Es lag nicht daran, dass es größer und imposanter war als alles, was sie bisher gekannt hatte. Nein, Größe und Eleganz waren unerheblich. Entscheidender war das Gefühl von Familie, Tradition und Beständigkeit, das Gefühl, dass es gleich war, was sonst in der Welt geschah, wohin die Familienmitglieder ausschweifen mochten, dort war ein Ort, an dem sie immer willkommen wären.
Vielleicht wäre ihr Rathbournes Haus weniger bedrückend erschienen, hätte sie jene Leichtigkeit und Wärme nie kennengelernt, doch das bezweifelte sie. Die wenigen Bediensteten, die sie bislang gesehen hatte, waren zwar nicht unhöflich, aber auch nicht besonders freundlich. Sie konnte nicht genau benennen, was es war. Es kam ihr vor, als wäre dieses Haus kalt, unbewohnt. Es hatte etwas von einem Schaukasten. Bei dem Gedanken erschauderte sie.
Trotz der Chance, die ihr Rathbournes Sammlungen für die Zukunft boten, wusste sie nun, dass sie sein Angebot nicht annehmen konnte.
Was Nathanial gewiss erfreute. Nicht dass es sie kümmerte. Sie seufzte. Natürlich kümmerte es sie! Sie belog sich selbst, wenn sie etwas anderes dachte. Wenigstens lenkte es sie von Nathanial ab, bei Rathbourne zu sein. Und von Quintons Bemerkungen.
War es überhaupt möglich, dass Nathanials Herz auf dem Spiel stand? Manche der Dinge, die er gesagt hatte – und so vieles von dem, was er nicht aussprach – könnte zu dem Glauben verleiten … vorausgesetzt, man war albern und närrisch …
»Woran denkst du, Mädchen?«, fragte Xerxes, der um die Hecke kam.
»Ach, an nichts weiter.«
»Ich glaubte, du denkst vielleicht an Mr Harrington.«
Sie wollte leugnen, konnte es jedoch nicht. Außerdem schien Xerxes es ohnehin stets zu wissen, wenn sie nicht ehrlich war.
»Vielleicht solltest du – an Mr Harrington denken, meine ich.«
»Jeder Gedanke an Mr Harrington wäre fruchtlos.«
»Warum?«
»Warum?« Sie stand auf und drehte sich zu ihm. »Weil er und ich … Wir würden niemals zusammenpassen.«
»Nein?« Xerxes zog eine Braue hoch. »Meinen Beobachtungen zufolge gäbe es niemanden, der besser zu dir passte.«
»Egal! Es ist nicht möglich.«
»Nicht, wenn du es nicht möglich werden lässt.« Er sah sie an. »Es liegt bei dir, Mädchen. Du hast es in der Hand. Und ich würde nicht gern mitansehen, wie du dir dein Glück durch die Finger rinnen lässt.«
»Glück?« Sie überlegte. Sie war nicht sicher, ob sie jemals wahrhaft glücklich gewesen war, und nicht einmal, ob sie Glück erkennen würde, sollte es ihr begegnen. Ja, sie war recht zufrieden gewesen, obgleich es ihr heute vorkam, als wäre ein Großteil ihres Lebens mit Vorbereitungen auf etwas verplempert worden, das nie eintreten würde. Mit Warten. »Denkst du wirklich?«
»Ich denke«, antwortete er bedächtig, »dass Nathanial Harrington das Beste ist, was in dein Leben treten konnte. Und ich denke, das gilt umgekehrt auch für dich. Des Weiteren denke ich, solltest du es nicht einsehen und akzeptieren, wärst du nicht so intelligent, wie ich dich bislang einschätzte. Aber was ich denke, ist nicht annähernd so wichtig wie das, was du weißt.«
»Was ich weiß?« Was wusste sie denn? Sie wusste, dass sie Nathanial liebte. Sie wusste, dass sie ihn nicht verlassen wollte. Was seine Gefühle betraf … Kannte sie die nicht auch? Wusste sie nicht, dass er, als er sie »meine Liebste« nannte, als er versuchte, sie zu beschützen, als er sie in seinen Armen hielt oder als sie in seine braunen Augen sah – wusste sie da nicht, dass er ihre Gefühle erwiderte? »Und wenn ich mich irre?«
»Was wäre, wenn du dich nicht irrst?«, fragte Xerxes lächelnd. »Du solltest mit dem Mann sprechen. Ich vermute, das hast du noch nicht.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir reden immerfort.«
»Über eure Gefühle? Über das, was ihr wollt?«
»Nathanial sagt, alles dreht sich darum, was ich will.«
»Und?«
»Und«, seufzte sie, »ich will Nathanial Harrington.«
»Dann ist es womöglich an der Zeit, etwas zu tun.«
»Womöglich … hast du Recht.« Sie lächelte. »Und ich werde etwas tun. Zunächst einmal ist es Zeit zu gehen.« Sie machte sich auf den Weg zurück ins Haus. »Wir müssen noch zu meinem Haus fahren, denn ich will mit Florence sprechen, und du möchtest gewiss deine Frau sehen.«
Xerxes lachte. »Dein Mr Harrington hat keine Chance.«
»Er ist nicht mein …«,
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