Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
»Anscheinend dachte Montini an nichts als seine persönlichen Belange.«
»Und es ging vornehmlich um ein bedeutendes Vermögen«, fügte Sterling hinzu.
»Ja, natürlich«, sagte seine Mutter nachdenklich. »Das Erbe von ihrem Großvater mütterlicherseits.«
»Ich bezweifle, dass er davon wusste.« Sterling tippte auf den Bericht. »Wie es scheint, hinterließ Gabriellas Vater ihr ein großes Erbe, über das Montini dank ihr frei verfügen konnte. Dem Bericht nach war Montinis Vater nicht mit der Berufswahl seines Sohnes einverstanden und hinterließ beinahe alles seiner Tochter. Solange Montini Gabriella hatte, besaß er die Mittel, um seiner Arbeit nachzugehen.« Er sah zu Nate. »Deine Miss Montini ist eine sehr wohlhabende Frau, obgleich ich vermute, dass sie es bis zum Tode ihres Bruders gar nicht wusste.«
»Das erklärt eine Menge«, sagte Nate. »Fahr fort.«
»Vor neun Jahren verschwand der angebliche Bruder, und Miss Montini begann, hier in London zur Schule zu gehen. Sie ist erstaunlich hochgebildet für eine Frau …«
Nate schnaubte. »Lass sie das ja nie hören!«
Sterling sprach weiter. »Sie besitzt ein kleines Haus in einem respektablen, wenngleich nicht noblen Viertel und beschäftigt …« Er blätterte in dem Bericht. »Eine Miss Florence Henry als Gesellschafterin und …«
»Xerxes Muldoon und dessen Ehefrau«, half Nate ihm aus. »Das habe ich kürzlich ergründet.«
»Nun, diese Informationen sind sehr interessant«, sagte seine Mutter.
»Oh ja, das sind sie fürwahr.« Sterling faltete die Hände auf dem Schreibtisch und blickte zwischen den anderen beiden hin und her. »Da ich zuversichtlich bin, dass wir beinahe alles über Gabriella wissen, was wir wissen müssen, was gedenkt ihr zu tun?«
»Ich gedenke, Gabriella mit ihrer Familie zu vereinen«, antwortete seine Mutter bestimmt.
»Ich beabsichtige, sie zum Mitglied unserer Familie zu machen.« Nate grinste.
»Weil sie ein Vermögen hat und einer ehrbaren Familie entstammt?«, fragte Sterling.
»Nein! Weil sie die bemerkenswerteste Frau ist, der ich jemals begegnet bin. Weil ich mir nicht vorstellen kann, ohne sie zu leben. Und weil, egal wer sie ist oder was sie hat oder nicht, sie mein Herz in Händen hält.«
Seine Mutter strahlte. »Wie wundervoll, Nathanial!«
Und auch Sterling warf ihm ein zustimmendes Lächeln zu. »Viel Glück, kleiner Bruder. Und nun … wie geht es mit dem Montini-Siegel voran?«
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Nicht einmal die gigantische Anzahl von Schätzen, die zu dokumentieren leicht ebenso lange dauern dürfte, wie Lord Rathbourne gebraucht hatte, sie anzusammeln, vermochte Gabriellas Unbehagen zu mildern, das mit jeder Minute in seinem Haus größer wurde.
Sie saß auf einer schmiedeeisernen Bank in dem winzigen, ummauerten Innenhof der Bibliothek. Als der Butler Franks sie hereinbrachte, hatte er ihnen die Glasflügeltüren gezeigt, die hinter schweren Samtvorhängen verborgen waren. Und er hatte ihnen gesagt, dass Lord Rathbourne ihr vorschlug, den kleinen Innenhof zu nutzen, um zwischendurch frische Luft zu atmen. Was für ein unerwartet fürsorglicher Gedanke! Ein Kiesweg führte von der Glastür zu einer hohen Hecke, und hinter der Hecke, zum Haus hin verdeckt, stand die Bank vor einem kleinen Springbrunnen.
Hier konnte man sich leicht einreden, man wäre weit weg von dem düsteren, bedrückenden Haus. Gabriella fragte sich, ob Lady Rathbourne je hier gesessen und sich genau das vorgestellt hatte.
Sie war sich nicht sicher, ob sie tagein, tagaus in diesem Haus, in dem fensterlosen Raum verbringen könnte, den sie immerzu mit einem Grab verglich. Lord Rathbourne war heute nicht zu Hause, und dafür war Gabriella dankbar. Solange sie in der Schatzkammer war, hatte Xerxes Posten an der Öffnung zur Bibliothek bezogen. Nun stand er wachsam hinter ihr an den Glastüren. Zu jeder anderen Zeit hätte sie seine übertriebene Vorsicht störend gefunden. Hier und jetzt war sie ein Trost.
Heute plante sie, eine vorläufige Liste von den einzelnen Sammlungen zu erstellen, und sei es nur, um das Ausmaß der Aufgabe einzuschätzen. Stattdessen hatte sie die meiste Zeit das Siegel geprüft, das dem ihres Bruders so ähnlich war. Obgleich sie sicher war, dass es sich nicht um Enricos handelte, hätte sie gern einen Abdruck, den sie mit dem ihres Bruders vergleichen könnte. Was sie erinnerte, dass sie auf der Heimfahrt unbedingt bei ihrem Haus Halt machen und sich erkundigen musste, ob
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