Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
schon.« Dann blickte sie zu ihrem Ältesten auf. »Du darfst sie dafür nichts berechnen lassen.«
»Also, ich weiß nicht, wovon ihr sprecht«, mischte Nate sich ungeduldig ein.
»Erlaube mir, es dir zu erklären«, sagte seine Mutter. »Wie du weißt, ist Emmas Mutter, Lady Danworthy meine Freundin, seit wir Kinder waren. Sie hat zwei Schwestern, eine jüngere und eine ältere. Die jüngere, Helene – übrigens ein liebreizendes Mädchen – wurde enterbt, als sie sich gegen den Wunsch ihres Vaters vermählte. Sie heiratete einen wohlhabenden Mann, der bedeutend älter war als sie und, Gott bewahre, ein Italiener.«
»Montini?«
Nates Mutter nickte. »Die Geschichte war sehr unerfreulich. Ihr Vater erklärte, was ihn beträfe, hätte er nur noch zwei Töchter. Er bereute es, nachdem Helene geheiratet und nach Italien gegangen war, aber aufgrund der großen Entfernung kam es nicht mehr zu einer Aussöhnung. Helene starb bei Gabriellas Geburt. Die Familie bemühte sich, den Kontakt zu Mr Montini zu halten, doch nach allem, was Caroline mir über die Jahre erzählte, zeigte er keinerlei Interesse. Er starb, als Gabriella acht Jahre alt war, und irgendwie verschwand sie.«
Nate runzelte die Stirn. »Was meinst du mit ›verschwand‹?«
»Als Carolines Familie von seinem Tod erfuhr, war das kleine Mädchen nicht mehr da. Jahrelang haben sie nach ihr gesucht, und am Ende wurde ihnen gesagt, das Mädchen wäre ebenfalls gestorben.« Seine Mutter seufzte. »Ich muss wohl nicht erwähnen, dass sie daraufhin die Suche einstellten. Caroline war zutiefst betrübt, weil sie das Kind ihrer Schwester nicht retten konnte. Und deshalb«, sie sah Sterling an, »bestand ich darauf, dass Gabriella hier wohnt. Ich wollte sie nicht wieder verlieren.«
»Warum hast du nicht einfach Lady Danworthy erzählt, dass du ihre Nichte gefunden hast?«
»Ich hatte meine Gründe«, antwortete seine Mutter ausweichend.
»Und die wären?«, fragte Sterling unbeirrt.
»Ich bin es nicht gewöhnt, von meinem eigenen Sohn befragt zu werden wie eine gemeine Kriminelle.«
»Verzeih, Mutter«, murmelte Sterling.
»Deine Entschuldigung klingt wenig glaubwürdig. Übe dich in Höflichkeit, mein Lieber. Nun, zunächst einmal ist Caroline mit ihrer Schwester und Emma in Paris. In ihrem letzten Brief schrieb sie, dass sie in wenigen Tagen zurückkehren. Außerdem bin ich mir nicht ganz sicher, welche Absichten Gabriella hegt. Schließlich lernten wir sie kennen, als sie beim Einbruch in unser Haus ertappt wurde. Unter anderem geht es um ein beachtliches Erbe. Und offen gesagt wollte ich Caroline nichts von der Existenz ihrer Nichte erzählen, falls Gabriellas Motive unehrenhafter Natur wären. Es bräche ihr das Herz. Wie dem auch sei, bin ich, abgesehen von einer gewissen Neigung zu impulsivem, sogar ungesetzlichem Verhalten, recht beeindruckt von Gabriellas Charakter.« Sie wandte sich zu ihrem Jüngsten. »Du könntest es weit schlechter treffen.«
Nate grinste. »Aber nicht besser.«
»Nein, mein Lieber, das glaube ich ebenso wenig.«
»Diesem hier zufolge«, lenkte Sterling ihre Aufmerksamkeit auf den Bericht zurück, »wurde Gabriella nach dem Tod ihres Vaters buchstäblich von einem entfernten Verwandten zum nächsten weitergereicht.« Seine Miene verfinsterte sich. »Soweit ich es las, war es keine angenehme Erfahrung für sie. Niemand wollte sich mit ihr belasten, und man behandelte sie eher wie ein Dienstmädchen denn eine Verwandte.«
»Ach, du liebe Güte«, flüsterte seine Mutter.
»Etwa zwei Jahre später fand Enrico Montini, ihr Halbbruder aus der ersten Ehe ihres Vaters, das Mädchen.« Sterling sah seine Mutter an. »Ich vermute, zu dem Zeitpunkt wurde Lady Danworthys Familie erzählt, sie wäre tot.«
Seine Mutter nickte. »Ja, soweit ich mich entsinne.«
»Dort scheint die Spur zu enden. Dem Bericht nach wurde Montini danach von einem Jungen begleitet, den er als seinen Bruder ausgab. Nur«, Sterling sah Nate an, »hat Gabriella keinen anderen Bruder.«
Nate nickte. »Ich kam zu demselben Schluss, aber dieses Puzzleteil hatte ich noch nicht eingefügt.«
»Ihr sagt, Enrico Montini hätte seine Schwester zu all den scheußlichen, gefährlichen Orten mitgenommen, an denen Quinton und du nach antiken Schätzen sucht, und vorgegeben, sie wäre ein Junge?« Wut blitzte in den Augen seiner Mutter auf. »Wie konnte er? Bedachte er denn nicht, welche Folgen es hat, ein Mädchen so großzuziehen?«
Nate schüttelte den Kopf.
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