Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Angst an ihr, als sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Könnte sie sich irren?
Neunundzwanzigstes Kapitel
Heute war der letzte Tag.
Dies war Gabriellas erster Gedanke beim Aufwachen. Sie warf die Decken beiseite und stieg aus dem Bett. Ihre Kopfschmerzen waren beinahe verschwunden und überdies kein Grund, im Bett zu bleiben. War Nathanial zurück? Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass es schon später Morgen war. Gütiger! Sie streifte sich ihren großen Schal über, stürmte aus dem Zimmer und über den Korridor zu Nathanials Tür. Dort blieb sie stehen, dann drehte sie den Knauf und ging hinein.
»Nathanial?« Sie durchquerte den Salon und trat direkt ins Schlafzimmer. Sein Bett war unberührt. Gewiss war es schon gemacht worden. Es sei denn, er hatte gar nicht darin geschlafen. Wo war er? Nicht dass es von Bedeutung wäre, denn sie vertraute ihm.
Eilig kehrte sie in ihr Zimmer zurück. Sie sollte sich anziehen, war es doch höchst unangemessen, in ihrer Nachtkleidung durchs Haus zu laufen, aber das ließ sich nicht ändern. In diesem Moment war Anstand ihre geringste Sorge. Sie lief den Korridor entlang und flog geradewegs die Treppe hinunter. Unten begegnete sie dem Butler, der sie erschrocken ansah.
»Andrews«, sagte sie ohne Begrüßung, »haben Sie Mr Harrington gesehen? Nathanial?«
»Heute nicht, Miss.«
»Wissen Sie, wo er ist?«
»Nein, Miss«, antwortete Andrews kopfschüttelnd. »Ich weiß nicht, wo er im Moment ist.«
»Was ist mit seinem Bruder?«
»Welcher Bruder, Miss?«
»Irgendeiner«, erwiderte sie ungeduldig.
»Weder Master Quinton noch seine Lordschaft sind im Haus, Miss.«
»Und Lady Wyldewood? Ist sie ebenfalls verschwunden?«
»Ich würde nicht von verschwunden sprechen, Miss. Aber, nein, sie ist auch nicht zu Hause. Lady Regina allerdings schon, nur ist sie noch im Bett.«
Gabriella knirschte mit den Zähnen. »Und ist sonst jemand im Haus?«
»Miss Henry und Mr Dennison sind in der Bibliothek, Miss.«
»Wenigstens etwas«, murmelte sie und lief weiter. »Danke, Andrews«, rief sie dem Butler zu.
»Stets zu Diensten, Miss.«
Sie riss die Bibliothekstür auf und rauschte hinein, wobei sie ein recht intensives Gespräch zwischen Florence und Mr Dennison zu unterbrechen schien. »Wo ist er?«
Florence sprang auf und Mr Dennison gleich nach ihr. »Warum bist du nicht im Bett?«
»Ich fühle mich gut, bestens«, erwiderte sie ungeduldig. »Das Einzige, was bewirken könnte, dass ich mich noch besser fühle, wäre zu wissen, wo Nathanial ist.«
»Ganz ehrlich, Gabriella, ich weiß es nicht«, sagte Florence.
»Mr Dennison?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann es Ihnen nicht sagen, Miss.«
»Sie können oder Sie wollen nicht?«
»In diesem Moment, Miss Montini, weiß ich nicht, wo Mr Harrington sein könnte.«
Gabriellas Blick wanderte zwischen Mr Dennison und Florence hin und her. »Ich glaube keinem von euch.«
»Wir belügen dich nicht«, sagte Florence, die ihre Lippen tadelnd zusammenpresste. »Bist du dir gewahr, dass dein Aufzug höchst unschicklich ist?«
»Ich hatte anderes im Kopf«, konterte Gabriella spitz. »Ich gehe auf mein Zimmer, kleide mich anständig, und dann fahre ich zur Antikengesellschaft. Ich hoffe sehr, dass Nathanial das Siegel dorthin gebracht und dem Komitee vorgelegt hat.«
Florence und Mr Dennison tauschten Blicke.
»Und ihr werdet mich nicht aufhalten.«
»Wir kämen gar nicht darauf, es zu versuchen«, sagte Florence. »Du solltest unbedingt dorthin fahren. Ich halte es für eine exzellente Idee. Ja, Mr Dennison und ich begleiten dich sogar mit Freuden.«
»Ach ja?« Gabriella wurde skeptisch. »Warum?«
»Du liebe Güte, Gabriella, kannst du jemals dein Misstrauen ablegen? Zunächst einmal wäre es gänzlich unangemessen, dass du ohne Begleitung fährst. Zum anderen bin ich, so gut du dich fühlen magst, nicht sicher, dass du nicht jeden Moment zusammenbrichst. Und außerdem bin ich am Anfang dieser ganzen Geschichte bei dir gewesen und wäre es gern bis zum Schluss. Also, geh dich ankleiden. Wir warten hier auf dich.«
»Sehr schön.« Gabriella machte kehrt und ging zurück auf ihr Zimmer. Sie wusste, dass sie Florence nicht böse sein sollte, und eigentlich war sie es auch nicht. Sie konnte ihr vertrauen. Genau wie Nathanial. Und indem sie sich das wieder und wieder sagte, hielt sie ihr nagendes Unbehagen im Zaum. Schließlich hatte Nathanial nichts getan, ihr Misstrauen zu erregen. Noch nicht. Auch diesen
Weitere Kostenlose Bücher