Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Einzige, die spielte.
Ebenso wenig wie sie die Gewinnerin wäre.
Drittes Kapitel
Gabriellas Herz pochte wild, was sie ärgerte, hatte sie sich doch stets als recht mutig betrachtet. Andererseits hatte sie sich auch noch nie mitten in der Nacht in ein fremdes Haus geschlichen, und ein gewisses Maß an Unbehagen war vollkommen natürlich, selbst wenn alles gut verlief.
Sie drückte sich mit dem Rücken an die Wand und bewegte sich lautlos den Korridor entlang zur Bibliothek. Mattes Sternenlicht drang durch ein Fenster am Ende des Flurs, aber nicht bis zu ihr, sodass sie sich vorsichtig durch die Dunkelheit tasten musste.
Xerxes und Gabriella hatten entschieden, dass sie am besten auf demselben Weg ins Haus gelangte wie in der Nacht zuvor: durch die hintere Gartenpforte. Jenes Schloss war heute ebenso leicht zu öffnen gewesen wie gestern. Auch der Weg durch den Garten war einfach, denn dank der vielen Bäume, Sträucher und Büsche gab es notfalls reichlich Verstecke. Zudem war der Weg ohne Ballkleid deutlich leichter zu bestreiten. Heute Nacht trug sie Herrenkleidung wie sie es in Ägypten zu tun pflegte, und hatte sich das Haar unter den alten Filzhut von damals gestopft. Sie war in Hosen aufgewachsen, und ungeachtet der Umstände liebte sie das Gefühl von Freiheit, das sie ihr boten.
Anscheinend schlief der gesamte Haushalt. Bis auf ein paar Lampen hier und dort, die in Fenstern leuchteten, war alles dunkel, und Xerxes hatte ihr gesagt, dass in dem Haus immer einzelne Lampen über Nacht brannten. In Gabriellas Augen war das eine furchtbare Geldverschwendung.
Sie hatten beschlossen, durch die Glasflügeltüren einzusteigen, die von der Terrasse in den Ballsaal führten, denn Xerxes vermutete, dass die Schlösser dort nicht schwieriger zu öffnen wären als das an der Pforte. Eine Überprüfung aller Türen hatte ergeben, dass zwei von ihnen derart marode Schlösser hatten, dass sie kaum die Türen zuhielten. Würden die Harringtons nicht so viel Geld vergeuden, indem sie die ganze Nacht Licht brennen ließen …
Xerxes war alles andere als froh gewesen, als Gabriella darauf bestand, dass er draußen blieb. Sie hatte ihm erklärt, dass der Earl, sollten sie entdeckt werden, eher ihn den Behörden übergäbe als sie, und dem konnte Xerxes schlecht widersprechen. Vor allem, wenn Gabriella seiner Lordschaft erklärte, welchen berechtigten Vorwurf sie seinen Brüdern machte. Dem wenigen, was sie über den Earl gehört hatte, entnahm sie, dass er ein ehrbarer Mann war. Ein Jammer, dass seine Brüder ihm nicht ähnelten!
Überdies war Gabriella zur Hälfte britisch und ihr Äußeres viel weniger angsteinflößend als Xerxes’. Und, was sie ihm gegenüber nicht erwähnte, sie hatte eine Waffe, von der er nichts wusste und die sich als nützlich erweisen könnte.
Trotzdem bereute sie es in diesem Moment, die Aufgabe nicht Xerxes überlassen zu haben. Bei der Bibliothekstür angekommen, blieb sie stehen und raffte ihre rapide schwindende Courage zusammen, ehe sie langsam die Tür aufschob und hineinging. Eine kleine Gaslampe brannte schwach auf dem Schreibtisch des Earls. Gabriella rümpfte verächtlich die Nase ob solcher Extravaganz, auch wenn sie ihr in diesem Fall zugutekam.
Leise schloss sie die Tür hinter sich, durchquerte den Raum, nahm sich die Lampe und begab sich zum Schreibtisch des Sekretärs. Schließlich musste sie sehen können, was sie tat. Sie zog ein langes Stück biegsamen Draht mit einem Metallhaken an einem Ende hervor, ähnlich einer Häkelnadel, das sich im Futter ihrer Jacke verborgen hatte. Xerxes hatte ihr tags zuvor beigebracht, wie man mit diesem unscheinbaren Instrument Schlösser öffnete – eine Fertigkeit, die zu besitzen sich lohnte.
Sie brauchte keine zwei Minuten, um das Schloss zu öffnen, und grinste zufrieden. Das war verblüffend einfach gewesen. Nachdem sie ihr Instrument wieder eingesteckt hatte, zog sie die mittlere Schublade auf. Darin lagen säuberlich geordnete Stifte, Briefpapier und alle anderen Dinge, die ein Mann brauchte, der die geschäftliche und private Korrespondenz eines Earls erledigte, aber nichts anderes. Als Nächstes sah Gabriella in die größere der beiden rechten Schubladen. Hier waren Akten, wohlgeordnet und sorgfältig beschriftet. Gabriella atmete auf. Gott sei Dank war der Earl klug genug, einen pflichtbewussten Sekretär zu beschäftigen!
Sie blätterte durch die Akten. Alle hatten mit den Angelegenheiten des Earls zu tun, und keine der
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