Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
leider haben wir den Beweis bis dato nicht gesehen.«
»Weil er gestohlen wurde«, sagte Gabriella spitz.
»Nun erzählen Sie mir, Ihr Bruder hätte mehrere Männer verdächtigt, das Siegel gestohlen, beziehungsweise den Diebstahl in Auftrag gegeben zu haben?«
Sie nickte.
Der Direktor kniff die Augen zusammen. »Sie sind sich hoffentlich gewahr, dass Sie für solcherlei Anschuldigungen Belege brauchen. Und da der einzige Beweis bislang die Behauptung Ihres Bruders ist, und er …«
»Ganz und gar nicht, Sir«, mischte Nate sich ein. »Ich sah den Lehmabdruck des Montini-Siegels.«
Der ältere Mann zog eine Braue hoch. »Des Montini-Siegels?«
»Ja, es schien mir sehr echt.«
»Dennoch, solche Abdrücke können gefälscht sein«, entgegnete der Direktor. »Und ich vermute, Sie haben den Abdruck nicht …«
»Ich habe ihn«, sagte Gabriella. »Enrico ließ ihn bei mir.«
»Überzeugen Sie sich selbst, Sir.« Nate unterdrückte seine Überraschung ob Gabriellas Verkündung, denn er hörte erstmals davon. Sie hätte ruhig erwähnen können, dass sie den Abdruck hatte. Beispielsweise als sie die Briefe ihres Bruders wieder und wieder gelesen, sie Wort für Wort auseinandergepflückt hatten, auf dass sie auch ja nichts übersahen. Oder während der Abendessen mit seiner Familie, wenn sie über die Suche gesprochen hatten. Zumeist drehte sich das Gespräch um die Jahresversammlung der Antikengesellschaft und die damit verbundenen Veranstaltungen, einschließlich der Zusammenkunft des Gutachterkomitees und des Balls. Und naturgemäß wurde auch über nebensächliche Familienangelegenheiten geredet. Letztere faszinierten Gabriella offenbar am meisten, auch wenn Nate sie für überhaupt nicht ungewöhnlich hielt.
Und nach jedem Abendessen, wenn sie im Salon zusammenkamen, und später, wenn er sie zu ihrem Zimmer begleitete und gegen den beständig stärker werdenden Drang kämpfte, sie zu küssen, hätte sie ebenfalls Gelegenheit gehabt, ihm von dem Abdruck zu erzählen. Aber nein, sie hatte geschwiegen. Was momentan allerdings nichts zur Sache tat.
»Diese antiken Zylindersiegel wurden von Hand geschnitzt«, sagte Nate zu Beckworth. »Und ganz gleich wie kunstfertig sie sein mögen, gibt es immer winzige Unterschiede zwischen den Siegeln einer Serie. Finden wir das Siegel, das mit dem Abdruck übereinstimmt, können wir sicher sein, das Montini-Siegel zu haben.«
»Und den Dieb«, ergänzte Gabriella.
»Du liebe Güte, wie raffiniert!«, hauchte Mrs Beckworth. »Das hatte ich gar nicht bedacht.«
»Wie dem auch sei«, sagte der Direktor kopfschüttelnd, »Selbst wenn Sie das Siegel finden, könnte es unmöglich sein, dem Besitzer nachzuweisen, dass er es gestohlen hat.« Er sah zu Nate. »Sie wissen, wie schwer sich in solchen Fällen Schuld beweisen lässt und wie schnell Artefakte den Besitzer wechseln. Zumal wenn Sie bedenken, dass Lord Rathbourne mit seinem Einfluss und seinen Mitteln …«
»Mr Beckworth«, fiel Gabriella ihm ins Wort, die immer noch mit im Schoß gefalteten Händen da saß, nur dass Nate nun auffiel, dass sie sehr fest gefaltet waren. Ihre Ruhe hatte einen hohen Preis, wie er erkannte, und er hatte Mitgefühl mit ihr. »Ich bin mir schon seit einiger Zeit bewusst, dass derjenige, der das Siegel stahl – ein Akt, der, wie ich glaube, zum Tod meines Bruders führte -, niemals für dieses Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden wird. Wie Sie sagten, es ist unmöglich zu beweisen. Überdies wäre fraglich, welche Rechtsprechung angewendet werden müsste. Die englische? Die ägyptische? Irgendeine zwischen beiden Ländern?«
»Dann verstehe ich nicht …«
»Alles, was ich möchte, ist, das Siegel zurückbekommen und beweisen, dass es von meinem Bruder gefunden wurde. Auf die Weise wäre sein Ruf wiederhergestellt. Der Fund soll als seine Entdeckung anerkannt werden. Mehr nicht.«
Beckworth musterte sie nachdenklich. »Aber das Siegel allein ist eine Menge Geld wert. Genauso wie die Möglichkeit, dass es zur Lösung des Rätsels um die verlorene Stadt beitragen kann.«
»Das ist mir gleich«, sagte Gabriella schlicht.
»Anderen wohl nicht.«
Auf ihr Achselzucken hin wandte Beckworth sich wieder Nate zu. »Diese Suche kann gefährlich sein.«
Zwar hatten Gabriella und er niemals über mögliche Gefahr gesprochen, doch hatte Nate von Anfang an um die Risiken gewusst. Was mit ein Grund war, weshalb er es für angeraten hielt, zur Gesellschaft zu gehen.
»Ich beabsichtige, das Siegel
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